Der Mann im Nebel - Roman | Page 6

Gustav Falke
von dem Meer von Licht da draussen.
"Die Sonne bei der Arbeit," sprach er halblaut. "Die Sonne beim
Brutgeschäft. Diese grosse Muttertätigkeit." Es lag ein leiser
Widerwille im Ton.
"Diese ewige Zeugung, dieses unendliche Gebären. Sinnlos, zwecklos.
Wozu? Diese ekelhafte Geilheit der Natur."
Nein, er wollte da nicht hinein in diese Bruthitze. Er wollte zurück in
den Wald. Da draussen war ein Schweissduft über der üppigen
Kornlandschaft. Mühseliges Sichabrackern ums tägliche Brot.
Im Wald roch er wenigstens den Menschen nicht.
Er wandte sich ab und sprang mit geschlossenen Beinen, etwas steif
von dem Wall herunter, dass das trockene Bodenlaub unter seinen
Füssen aufraschelte und die dürren Zweigabfälle knackten.
Er ging ziellos durchs Unterholz und traf auf einen Himbeerstand.
Er erinnerte sich, dass Schullehrers Christine ihm von einem solchen
gesprochen hatte. In der Nähe des Lohteiches sollte er sein.
Es war ein ganzes Himbeerfeld, mehr ein kleiner Himbeerwald. Busch
an Busch, voller roter, reifer Früchte. Er naschte. Er gab nicht viel um
dergleichen Schmaus. Aber er konnte die Dinger doch nicht hängen
sehen, ohne zu pflücken, wahllos, wie sie ihm am nächsten hingen.

Dann bekam er es satt und legte sich auf den Rücken. Der Boden war
stellenweise glatt und sauber, zum Ruhelager wohl geeignet. Es
standen nur wenige grosse Bäume hier, und er hatte einen freien Blick
auf ein grosses Stück Himmel. Es hing nur ein einziges Wölkchen da
oben, wie vergessen. Eine weisse, duftige Feder, zierlich geschweift,
ein Flaum.

6.
Randers lag im Schatten, die Arme unter dem Genick verschränkt, und
starrte in die Sonne hinaus. Und da waren gleich wieder die roten
Flocken, tanzten vor seinen Augen. Das rote Röckchen von
Schullehrers Christine.
Sie hatte gestern hier Himbeeren geholt. Ob sie heute wieder pflücken
würde? Und er sah sie vor sich, in ihrem roten, etwas kurzen Kleid, aus
dem die Fünfzehnjährige herausgewachsen war, mit ihren zwei
schweren, schwarzen Zöpfen, und der adretten, etwas kecken Haltung,
frisch, kernig, gesund.
Sie war ihm gleich aufgefallen, und er mochte das hübsche Ding leiden.
Das Kind! Und er hatte es sie unverhohlen merken lassen, indem er sie
mit etwas onkelhafter Güte behandelte.
Aber neulich, vor drei Tagen, als sie in später Abendstunde neben ihm
vor der Haustür stand, ein Gewitter hatte sie länger wach gehalten, da
hatte sie so eigen mit ihren grossen schwarzbraunen Augen zu ihm
aufgesehn und auf seine Reden immer nur verschämte wortkarge
Gegenrede gewusst.
Auch jetzt sah er diese grossen, dunklen Kinderaugen mit diesem
wunderlichen halb scheuen halb fragenden Ausdruck so aus dem
Leeren auf sich gerichtet. Dann schoss das andere so zusammen, und
zuletzt hätte er sie zeichnen können, so deutlich sah er sie vor sich: das
rote Röckchen mit dem verschämten Flicken unten am Saum, die etwas
grossen Füsse in den Holzpantoffeln, die grauen, groben Strümpfe um
die vollen festen Waden.
Als er so an sie dachte, kam sie, kam wie gerufen. Er erstaunte nicht
mal darüber. Nur ein flüchtiges Lächeln, ein leises vergnügtes
Schmunzeln ging über sein Gesicht, und den Kopf ein wenig erhoben,
um besser sehen zu können, nickte er wie zur Bestätigung eines
unausgesprochenen Gedankens.

Sie war ohne Hut, ganz wie sie im Hause, in der Wirtschaft ging, aber
in Stiefeln, statt in Pantoffeln. Sie trug einen grossen, braunen
Henkelkrug, aus dem sie naschte. Sie mochte schon unterwegs Beeren
gepflückt haben, sie standen überall reichlich, freilich nirgend so wie
hier.
Sie sah ihn nicht und fing gleich an zu pflücken.
Ob er sie anrief? Es machte ihm Spass, sie so heimlich zu beobachten.
Alle Augenblicke warf sie eine der vollen Flechten über die Schulter
zurück. Immer, wenn sie sich tiefer bückte, fiel wieder eine nach vorne.
Zuletzt liess sie sie hängen, wie sie wollten.
Er lag ganz still und freute sich des Augenblicks, wo sie ihn gewahr
würde und einen Schrecken bekäme. Aber seine Geduld wurde auf eine
harte Probe gestellt. Die Kleine suchte gründlich Busch für Busch ab
und entfernte sich dabei immer mehr von ihm. Zuletzt hielt er's nicht
mehr aus und klatschte laut in die Hände.
Erschrocken fuhr sie mit dem Kopf herum, sah nach allen Seiten, mit
grossen neugierigen Augen, aber durchaus nicht ängstlich. Sie war
augenscheinlich das einsame Umherstreifen gewohnt und kannte keine
Furcht.
Wenn nun ein andrer hier läge?
Sie war doch schon in dem Alter.
Und dann gingen ihm flüchtig allerlei Gedanken an Mord und
Verbrechen durch den Kopf und die Geschichte mit dem jungen
Mumm.
Er klatschte noch einmal, richtete sich halb auf und lachte ihr hell ins
Gesicht.
"Nein, aber Gott doch, was haben Sie mich erschreckt," rief sie, lachte
aber vergnügt über den Spass und kam gleich zu ihm hin.
"Sehen Sie mal, so viele."
Sie hielt ihm mit kindlicher Freude den schon halbgefüllten Topf hin.
Er fuhr mit der Hand hinein, so dass sie mit einem kleinen Aufschrei
das Gefäss zurückzog.
"Die gehn
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