Der Mann im Mond | Page 7

Wilhelm Hauff
auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und
verließ langsamen Schrittes den Saal.
Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen
sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der
Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges
Töchterchen zur Tafel.
* * * * *

DIE KIRCHE.
Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht nach
seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der
Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er
hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender
Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert
Schuh hohen Münsterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld
gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß- und blaugestreiften
Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um
ihren Ehezärter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man
stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchens pochte. "Macht
auf, Meister Küster! Seid so gut und macht auf!" rief eine tiefe, aber
bescheidene Stimme draußen. "Wird wohl ein Bote von einem Kranken
sein," näselte der Küster, "der die Sakramente noch will." Er legte die
Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere; denn er hatte
von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe, und hatte
dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem
Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte. Draußen schob
er die mächtigen Schlösser und Riegel der Haustür auf, und herein trat
ein kleiner ältlicher Mann in reichbordiertem Bedientenrock. "Was
soll's so spät?" fragte der Küster.
"Kamerad," antwortete der Bediente, indem er den Küster aus dem
kalten Hausgang in die wärmere Stube hineinzog, "Kamerad, wollt Ihr
mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?" Zugleich legte er
einen blanken, harten Taler auf den Tisch.
Der Küster wog den Taler in der Hand, ließ ihn wieder auf den Tisch
fallen, daß es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: "Wenn's
nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht!"
"So nehmt Eure Schlüssel," fuhr der andere fort, "und schließt die
Münsterkirche auf!"
"Jetzt in dieser Stunde?" rief der Alte mit Entsetzen. "Jetzt in dieser
stürmischen Nacht? Geht nicht, Kamerad, so wahr ich--nein, es geht
nicht, mich bringt kein Hund hinüber!"
"Beileibe," rief die Küsterin aus dem Bette und riß den Umhang zurück,
daß man das ganze Paradiesgärtlein ihres geblümten Bettes übersehen
konnte, "führe uns nicht in Versuchung! Alter, laß dich nicht betören!

Wer weiß, was draußen lauert?"
"Hätte nicht geglaubt, daß Ihr, ein so stattlicher Mann, unter dem
Weiberregimente stündet," sprach der alte Diener. "Glaubt mir, es ist
auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht, und bringt Euch guten Lohn."
Noch einmal wog der Küster den Taler auf der Fingerspitze und schien
sich zu besinnen. "Es wird zwar gleich zwölf Uhr brummen, und da ist
es gar nicht geheuer drüben in der Kirche; denn ich weiß, was ich weiß,
und habe gesehen, was ich gesehen habe; aber weil Ihr sagt, es sei ein
Gottesdienst, so kommt!" Indem hatte er schon die Laterne
zurechtgemacht. Er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die
gewichtigen, wunderlich geformten Schlüssel.
"Ei du meine Güte, läßt er sich doch verblenden vom Mammon,"
seufzte die Alte im Bette. Der Küster aber trat zu ihr mit dem größten
seiner Schlüssel: "Du schweigst, Ursel! Der Herr da soll sehen, daß
unsereiner nicht unterm Pantoffel steht," brummte er und verließ mit
dem Diener das Haus.
Die Nacht war grimmigkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne
dunkle Wölkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend
schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu. Wenige Schritte, so
standen sie am Portal des Münsters. Der Küster schrak zusammen, als
dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe, in einen dunklen
Mantel gehüllte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas
Interesse in so hohem Grade erregt hatte.
"Schließ auf, schließ auf," sprach Martiniz, "denn es ist hohe Zeit!"
Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte
gerade über ihnen im Turme das Uhrwerk, und in tiefen, zitternden
Klängen schallte die zwölfte Stunde in die Lüfte.
"Schließ auf!" schrie Martiniz, "schnell auf! Dort kommt er schon um
die Ecke!"
Seufzend ging die hohe Türe auf; in einem Sprung war jener in der
Kirche. Der Küster schloß behutsam wieder hinter sich ab und ging
dann voraus mit der Laterne; stille folgten ihm die Fremden. In
wunderlichen Schatten und Figuren spielte das schwache Licht der
Laterne an den hohen Säulen des Doms, nur auf wenige Schritte
verbreitete es Helle und verschwebte dann in matte Dämmerung, bis es
sich in der tiefen Nacht des Gewölbes verlor. Manchmal schien es, als
schritten hohe Gestalten in weiten, schleppenden Gewändern hinter den

Säulen ihnen nach. Scheu blickte Emil von Martiniz nach allen Seiten
und ging dann schneller hinter dem Küster her. Dumpf schallten ihre
Schritte auf dem hohlen Boden,
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