Der Mann im Mond | Page 6

Wilhelm Hauff
hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu
erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit
einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und, an seine Säule gelehnt,
so wenig Interesse an dem glänzenden Ball zu nehmen schien. Der
Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurück. "Wer ist es? Wie heißt
er?" fragten zehn, zwanzig zumal. "Was hat er gesprochen?"
"Nichts hat er gesprochen," antwortete Berner, "sondern mir nur diese
Karte gegeben."
Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu
sehen als ein schön gestochenes Wappen und der Name Emile, Comte
de Martiniz. "Ein Graf also?" Die Neugierde war nur halb gestillt; die

Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren
Bällen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschüttelnd umher; sie
hätten gar zu gerne gewußt, woher er komme, wohin er gehe, warum er
nicht tanze. Man betrachtete das fremde Wundertier von allen Seiten;
doch der Hofrat, der so viel Takt hatte, daß er in des Fremden Seele
fühlte, wie peinlich eine so kleinliche Neugierde sein müsse, gab das
Zeichen, und die Galoppade, von zwanzig Trompeten vorgetragen,
rauschte durch den Saal hin und rief zum Tanze.
Walzer um Walzer waren getanzt; noch immer stand die fremde
gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte
er sich nur in Schwarz und Weiß geteilt und kenne keine andere Farbe.
Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine glänzende Tuch
seines Kleides; das blendend bleiche Gesicht, wunderschöne Wäsche,
welche durch ihre Weiße, durch ihre zierlichen Fältchen den Freilinger
Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontraktierten
sonderbar mit jener dunkeln Farbe; nur die feinen Lippen schmückte
ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das
bunte Gewühl hineinzustarren; aber dennoch begegnete nicht leicht
einer diesem scharfen Blick, ohne das eigne Auge überrascht vor
diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.
Wie es aber zu gehen pflegt, die Damen fingen nachgerade an, nicht
viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren
machten sich über ihn lustig, und beide Teile hatten so viel an der
neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln,
zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas
Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien
sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich
fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur
von der Seite; denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr
unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik
so laut war; denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr
siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die
Tränen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der
wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte? Hatte der
Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen, und hatte
sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef--
Nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? Da hat es keine

Not! Es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm
hinsehen heißt.
Elf Uhr war vorüber; es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper
getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das
Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei, diesmal
auszusetzen, und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr,
und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den
Fremden.
"Ach, sehen Sie nur," sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres
Engelköpfchens, "sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer
blässer; wenn er nur nicht krank wird." Der Hofrat fand ihre
Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmäßige
Körper nicht so leicht von einem Krankheitsanfall gestört werden
könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die
Lippen zusammenpreßte, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der
Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das
Wehmütige, der tränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer
unverkennbarer.
"O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich
zu ihm gehen und fragen: Was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit
den Fröhlichen? Wie gern wollte ich alles tun, dir zu helfen."--
Der Mensch denkt's, Gott lenkt's!!!
Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig; denn mit einem Ruck hatte sich
der bleiche Fremde aufgerafft und stand nun in seiner ganzen Größe, in
gebietender und doch graziöser Haltung da; aber sein Auge heftete sich
furchtbar starrend nach der Saaltüre. Berner wollte eben aufstehen und
zu ihm hin--
Da öffnete sich die Tür, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe,
welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu und
neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr heraus, warf einen
Blick
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