Der Mann im Mond | Page 5

Wilhelm Hauff
die
Reisenden, denen der Wagen gehört, seien vorausgegangen und lassen
ihn langsam nachfahren. Ich sah daher alle Augenblicke aus unserem
Wagen, ob ich noch keine reisenden Engländerinnen oder Französinnen
gewahr werden könnte; aber immer vergebens. Endlich, als wir um eine
Waldecke bogen, sah ich auf einmal einen Mann, der unter einer Eiche
saß und zu dem Wagen gehören mußte."
"Und war es derselbe, der dort an der Säule steht?" fragte der Hofrat.
"Derselbe; er war auch ganz schwarz gekleidet wie jetzt, sein Hut lag
neben ihm im Gras, seinen Kopf stützte er in die hohle Hand. Das
Geräusch unseres Wagens, der jetzt, weil es bergauf ging, auch
langsam fuhr, schien ihn aufzuschrecken; ohne aufzusehen, ging er mit
gesenktem Haupt bis an unsere Wagentüre. Da richtete er sich auf, und
Sie können sich meinen Schrecken denken, Hofrat, als ich das nämliche
geisterbleiche Gesicht sah, das auch Ihnen aufgefallen ist. Er mußte
heftig geweint haben; denn Tränen hingen in den langen schwarzen
Wimpern und gaben dem glühendschwarzen, sinnigen Auge einen ganz
eigenen Reiz."
"So, so? Einen ganz eigenen Reiz!" antwortete lächelnd der Hofrat.
"Wer hat denn meinem Mädchen erlaubt, über Männeraugen
Betrachtungen anzustellen? Hat sie das auch bei Madame La Truiaire
in der Residenz gelernt?"

Das lustige Amorettenköpfchen, das sich da, es wußte nicht wie,
verbebbert hatte, schlug die Augen nieder und sagte: "Legen Sie nicht
alles so bös aus, Bernerchen! Sie verstanden ja doch sonst Ihre Ida
nicht immer falsch.
"Sehen Sie, was die Augen betrifft, da habe ich nun einmal meinen
eigenen Geschmack. Schöne blaue oder schwarze Augen, mitunter
auch recht glänzendbraune, sehe ich an jedermann gern. Daher sind mir
auch alle jungen Herren so zuwider, weil sie selten schöne Augen
haben; sie haben ihnen durch die Lorgnetten, Brillen und Gott weiß,
durch was sonst, den schönsten Glanz benommen und stieren uns an
wie gestochene Böcke; desto mehr freue ich mich, wenn ich einmal
eine solche Ausnahme treffe. Eine ganz eigene Freude macht mir auch
das Aufschlagen der Augen, das man unter Tausenden kaum einmal so
recht anmutig, sinnig und wie man es gern haben möchte, trifft. Beides
sah ich nun an dem Fremden; darum hat er mir auch so ge--"
Da hatte sich das schnelle Schnäbelchen schon wieder verplappert! Der
Hofrat horchte noch immer; aber Idchen blieb still, biß die Lippen
zusammen und spielte mit dem Amethystkreuz am Kollier, das unter
dem Tanzen sich zwischen den Schneehügeln hinabgeschoben hatte
und ganz glühend heiß geworden war.
"Ei, ei!" warnte der Hofrat, "ich habe da in zwei Minuten Dinge gehört,
wovor einem die Haut schaudern könnte; nimm dich um Gottes willen
in acht, Kind, wenn du deine Augenbeobachtungen anstellst! Ich weiß
es aus meiner Jugend, daß in gewissen Augen Häkchen sitzen, die uns,
wenn man allzu tief schaut, festhalten, daß an kein Entrinnen zu denken
ist. Hast du nie etwas von der Augensprache gehört?"
"Doch," entgegnete der kleine Übermut; "ich glaube sie auch zur Not
zu verstehen."--
"Ist gar nicht vonnöten; man spricht sie zwar vom Rhein bis zum
Mississippi, vom Don bis zum Ohio; lerne aber nie mehr als etwas
kauderwelsch parlieren! Denn wer sich so gar geläufig ausdrückt und
mit zwanzig zumal in dieser Sprache spricht, gilt nicht mit Unrecht für
eine Erzgeneralkokette."
"Nun, für eine solche werden Sie mich doch nicht halten?" sagte Ida
etwas empfindlich.
"Dazu kenne ich mein süßes Mädchen zu gut," entgegnete der Hofrat
traulich und drückte ihr das weiche Samthändchen; "was aber den

bleichen Patron dort drüben betrifft, so kann er über allerlei geweint
haben; er kann zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester oder gar
sein Mädchen verloren haben."
"Mei--nen Sie?" antwortete Ida gedehnt und unmutig. "Doch nein, da
würde er ja nicht auf den Ball gehen," setzte sie freudig hinzu; "da
würde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen."
"Oder," fuhr jener fort, "es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus,
und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter
fortzusetzen."
"Nicht doch," fiel sie ein, "wie mögen Sie nur diesem interessanten
Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler
aus als alle unsere Assessoren, Leutnants und so weiter zusammen?
Und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren
und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!"
"Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert! Das
Mäulchen geht ja, als sollte es einen Prozeß vor den Assisen führen!
Übrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den
Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich eindrängen,
auf den Zahn zu fühlen."
"Nun ja, tun Sie das, liebes Hofrätchen; aber ja recht artig und delikat,"
setzte das errötende Mädchen mit den süßesten Schmeichelworten
hinzu; "wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muß
unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!"
* * * * *

DER FREMDE.
Unterdessen
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 105
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.