Der Mann im Mond | Page 3

Wilhelm Hauff
sollten sie ihre Fähnchen, die sie
doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und
für wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und
Astern, die eben erst aus den Gärten der Hesperiden gepflückt zu sein
schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle
vielleicht mehr wert war als eines ihrer Ballkleider, nebst
Schneiderskonto und Fasson! Nein, Berner, der arge Berner, hätte
ihnen keinen schlimmern Streich spielen können, als diese Ida gerade
heute einzuführen. Aber man mußte sich Gewalt antun; der Präsident
machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der
Provinz, eine glänzende Aussicht auf _Thés dansants_, Soupers,
Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden
Blicken der Damen; wehe der, die dann nicht mit Ida bekannt war oder
sie sogar kalt empfangen hatte! Man wußte, daß dies der Herr Papa
Präsident nie verzeihen würde; man nahm sich zusammen, und in
kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt,
welche Glück wünschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei
dies und jenes von dem hoffähigen Anzug spickten. Alle redeten zumal,
keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein
Donnerwetter über das andere, daß sich eine so dichte Wolke vor diese
kaum aufgegangene Sonne gedrängt und sie ihrem Anblick entzogen
habe.
Jetzt zog Hofrat Berner das weiße Sacktuch, schwenkte es in der Luft
und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das
Zeichen, und eine herrliche Polonäse begann. Im Nu stoben die
Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren,
Leutnants, Sekretäre, jungen Kaufherren, Jagdjunker, die
glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen
Walzer, eine Ekossäse oder gar den Kotillon mit Ida die Hälse brechen
wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die
Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu
versagen, hüpfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand.
Selig, gerührt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskinde
an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen,
lockenden Tönen der Polonäse stolzen Schrittes gegen das
wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer, das von vorn, von den

Flanken, überallher aus den Mündungen der Lorgnetten auf seine
Tänzerin sprühte. Aber diese,--war sie kurzsichtig, hatte sie statt des
Korsettchens einen Kürassierpanzer von feinstem Stahl mit der
Musketenprobe um das Herzchen, oder war sie das Feuer so gewohnt
wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das
Kartätschenfeuer marschierte? Ich weiß nicht; aber sie schien gar nicht
auf die schrecklichen Ausbrüche der gebrochenen Herzen, auf die
Knallseufzer der Verwundeten zu hören; das Plappermäulchen ging so
ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre jünger, mit dem guten Hofrätchen
im Wald spazieren.
Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen,
alle jene tausend Suiten des kleinen Übermuts aufs Tapet. Lust und
Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte,
wie sie einem Spanferkel Kindszeug angezogen und es dem Hofrat als
Findling vor die Türe gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll
Stecknadeln gesetzt, daß sie aussahen wie der Rücken eines
Stachelschweines, alles, ohne daß er es merkte; denn er trug falsche.
Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen. Es war ja dasselbe lustige,
naive Ding wie früher und doch so wunderherrlich, so groß, mit so
unendlich viel Anstand und Würde! Er hätte sie auf der Stelle am Kopf
nehmen und recht abküssen mögen wie früher, wenn sie einen rechten
Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte.
Es ging über seine Begriffe! "Wie können Sie nur so hartherzig sein,
Idchen," sagte er, "und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren
werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen
Blick für alle diese Exklamationen und Beteuerungen, welche Sie doch
gehört haben müssen?"
"Was gehen mich Ihre jungen Herren an?" plapperte sie mit der größten
Ruhe fort. "Die sind hier wie überall, unverschämt wie die
Fleischmücken im Sommer. Das könnte kein Pferd aushalten, wollte
man darauf achten. Sie pfeifen in der Residenz ebenso, das wird man
gewohnt; so von Anfang macht es ein wenig eitel. Wenn man aber sieht,
wie sie dieser und jener dasselbe zuflüstern, vor der Ursel ebenso wie
vor der Bärbel sterben möchten, so weiß man schon, was solche
schnackische Redensarten zu bedeuten haben."
Die muß eine gute Schule durchgemacht haben, dachte der Hofrat.
Siebzehn Jahre alt und spricht so mir nichts dir nichts von der Farbe,

als wäre sie seit zwanzig Jahren in den Salons von Paris und London
umhergefahren! Er ärgerte sich halb und halb über Mamsell
Neunmalklug und Übergescheit; denn es waren just keine unebenen
jungen Männer, die ihre Seufzer so hageldick losgelassen hatten, und
ihn, der in seiner Jugend wohl so zwanzig Amouren und Amürchen
gehabt hatte, konnte nichts mehr ärgern als ein fühlloses Herz.
Aber dieser Ärger konnte bei seinem Idchen nicht in ihm aufsteigen.
Wenn er in ihr volles, glühendes Auge
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 105
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.