Der Mann im Mond | Page 2

Wilhelm Hauff

ankam; er hatte nicht eher geruht, bis sie versprochen hatte, das ganze
Haus in Alarm zu setzen, das Blondenkleid, in welchem sie bei Hofe
war präsentiert worden, ausbügeln zu lassen und auf den Ball zu
kommen. Wie spitzte er sich auf die langen Gesichter der Damen, auf
die freundlichen Blicke der Herren, wenn er die wunderschöne Dame in
den Saal führen würde; denn kennen konnte sie im ersten Augenblicke

niemand.
Wo hatte nur das Mädchen die Zeit hergenommen, so recht eigentlich
bildhübsch zu werden? Als sie vor drei Jahren abreiste, wie besorglich
schaute da der gute Hofrat dem Wagen nach! Er hatte sie auf dem Arm
gehabt, als sie kaum geboren war; bis zu ihrem vierzehnten Jahre hatte
er sie alle Tage gesehen, hatte sie früher auf dem Knie reiten lassen,
hatte sie nachher, trotz dem Schmollen der Präsidentin, zu allen tollen
Streichen angeführt. Er liebte sie wie sein eigenes Kind; aber er mußte
sich vor drei Jahren doch gestehen, daß ihm angst und bange sei, was
aus dem wilden Ding werden solle, das man da in die Residenz führe,
um sie menschlich zu machen.
Denn wollte man ein Mädchen sehen, das zur Jungfrau und fürs Haus
völlig verdorben schien, so war es Präsidents Wildfang; einen solchen
Unband traf man auf zwanzig Meilen nicht. Kein Graben war ihr zu
breit, kein Baum zu hoch, kein Zaun zu spitzig; sie sprang, sie klimmte,
sie schleuderte trotz dem wildesten Jungen; hatte sie doch selbst einmal
heimlich ihren Damensattel auf den wilden Renner ihres Bruders, des
Leutnants, gebunden und war durch die Stadt gejagt, als sollte sie Feuer
reiten! Dabei war sie mager und unscheinbar, scheute vor jeder
weiblichen Arbeit, und der einzige Trost der gnädigen Mama war, daß
sie Französisch plappere wie ein Stärchen und daß, trotz ihrem
Umherrennen in der Märzsonne, ihr Teint dennoch trefflich erhalten
sei.
Aber jetzt--!
Nein, was war mit diesem Mädchen in den kurzen drei Jahren eine
Veränderung vorgegangen! Wenigstens um einen Kopf war sie
gewachsen, alles an ihr hatte eine Rundung, eine zarte Fülle bekommen,
die man sonst nicht für möglich gehalten hätte; das Haar, das sonst, wie
oft man es auch kämmte und an den Kopf hinsalbte, der wilden
Hummel in unordentlichen Strängen und Locken um den Kopf flog,
war jetzt der herrlichste Kopfputz, den man sich denken konnte. Die
Augen waren glänzender, und doch fuhren sie nicht, wie ehemals, wie
ein Feuerrädchen umher, alles anzuzünden drohend. Die Wangen
bedeckte ein feines Rot, das bei jedem Atemzug in alle Schattierungen
von zartem Rosa bis ins Purpurrot wechselte; das liebe Gesichtchen
war oval und hatte eine Würde bekommen, über die der staunende
Hofrat lächeln mußte, so sehr er sie bewunderte.

Dieses Götterkind, diesen Ausbund von Liebenswürdigkeit, erwartete
der Hofrat; dem guten alten Junggesellen pochte das Herz beinahe
hörbar, wenn er an sein Gold-Idchen dachte. Wie mußte sie erst im
Ballkleide aussehen, wenn sie ihn in dem Reiseüberröckchen und in der
Haube _à la jolie femme_ beinahe närrisch machte; wie mußte sie erst
strahlen, wenn sie, wie sie ihm versprochen, die Haare nach dem
allernagelfunkelneuesten Geschmack, die schöne Stirne und den
schlanken Hals, die wie aus Wachs geformten Partien, welche die
handbreiten Brüsseler Kanten umziehen sollten, mit dem
Amethystschmuck schmückte, den sie von ihrer Pate, der Fürstin
Romanow, geschenkt bekommen hatte. Ihm, ihm hatte sie mit all jener
Herzlichkeit, mit der sie früher versprochen, einen Spaziergang mit ihm
zu machen oder ihn, den Einsamen, zu besuchen, wenn er krank war,
jetzt als Königin des Festes die erste Polonäse zugesagt.--
Immer verdrießlicher wurden die Damen, immer ungestümer mahnten
die Herren den alten _Maître de plaisir_; schon seit einer halben Stunde
stimmten die Musikanten, daß man vor dem Quieken der Klarinette,
vor dem Brummen der Bässe sein eigenes Wort nicht hörte, --er gab
nicht nach. Da rasselte ein Wagen über den Marktplatz her und hielt
vor dem Flügeltor des Museums.
"Das sind sie," murmelte der Hofrat und stürzte zum Saal hinaus; bald
darauf öffneten sich die Flügeltüren, und der kleine freundliche Alte
schritt am Arm einer jungen Dame in den Saal.
* * * * *

IDA.
Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen. Wer konnte
das wunderschöne Mädchen sein, so hoch und schlank mit dem
königlichen Anstand, mit dem siegenden Blicke, mit der kräftigen
Frische des jugendlichen Körpers? Sie nickte so bekannt nach allen
Seiten, als käme sie alle Tage auf Freilinger Bälle und Assembleen;
und doch kannte sie niemand. Doch ja! Da kommt ja auch der alte
Präsident, wahrhaftig! Es kann niemand anders sein als Präsidents Ida!
Aber wie herrlich war dieses Knöspchen aufgegangen! "Welcher
Anstand!" bemerkten die Herren. "Welche Figur! Welcher Nacken!
Wahrhaftig, man möchte ein Mückchen oder noch etwas Wenigeres
sein, nur um darauf spazieren zu gehen." "Welcher Schmuck, welche

Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid!" bemerkten die Damen und
wünschten sich weit weg; denn wie
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 105
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.