Der Mann des Schicksals | Page 8

George Bernard Shaw
zu verlassen!
(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen.
(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was f��r ein Interesse ein Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann. Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.
(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er ?ffnet die T��re.)
(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen. H��ten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame, Sie entschuldigen, ich hielt Sie f��r dieselbe Person, nur von entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich nat��rlich irregef��hrt.
(Dame s��?:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, da? Sie mir nicht l?nger b?se sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.)
(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu k��ssen:) Oh, meine Gn?dige, nicht im gering... (f?hrt zur��ck und starrt auf ihre Hand:) Sie haben die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er.
(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge.
(Leutnant.) Das erkl?rt alles. (Er k��?t ihre Hand:) Bitte tausendmal um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das ist mehr Sache des Generals--aber es war der Mi?brauch meines Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine M��tze, Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie entschuldigen, da? ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure unendlich. (Er schw?tzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt ihm und schlie?t die T��r.)
(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot!
(Dame l?chelt liebensw��rdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen f��r Ihren Schutz danken, Herr General?
(Napoleon wendet sich pl?tzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell! (Er streckt die Hand danach aus.)
(Dame.) Herr General! (Unwillk��rlich greift sie mit den H?nden nach dem Fichu, als wolle sie dort etwas besch��tzen.)
(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren H?nden...
(Dame zieht ihre H?nde rasch weg:) Oh, wie unliebensw��rdig Sie mit mir sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie ?ngstigen mich! (Sie ber��hrt ihre Augen, als wollte sie eine Tr?ne wegwischen.)
(Napoleon.) Ich sehe, da? Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie w��rden sich die M��he ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten.
(Dame tut so, als ob sie zwischen Tr?nen l?cheln wollte:) Doch, ich kenne Sie--Sie sind der ber��hmte General Buonaparte. (Sie gibt dem Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.)
(Napoleon ?rgerlich, mit franz?sischer Aussprache:) Bonaparte, Madame, --Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gef?llig ist!
(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er rei?t ihr das Taschentuch heftig aus der Hand:) Herr General! (Entr��stet.)
(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie waren so liebensw��rdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschent��cher zu leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden Taschent��cher.) Sie sind einander vollst?ndig gleich. (Er riecht daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit ebenso wenig Umst?nden wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre sp?ter in Victorien Sardous Drama "Dora" wieder auf.)
(Dame mit w��rdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose Frauen?
(Napoleon grob:) Ja!
(Dame verbl��fft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife nicht--ich ...
(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil Ihre ?sterreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, da? ich sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden, wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die H?hle des L?wen geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine vern��nftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht drohend einen Schritt vor.)
(Dame bricht in kindischer, ohnm?chtiger Wut zusammen und wirft sich in Tr?nen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor Herzklopfen bei jedem argw?hnischen Blick und jeder drohenden Bewegung. Halten Sie jeden Menschen f��r so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum vollbringt ihr tapferen M?nner nicht die tapferen Taten? Warum ��berla?t ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht tapfer--ich schrecke vor Gewalt zur��ck--die Gefahr macht mich elend.
(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben?
(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gef��hl, kein... (Sie h?lt inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schw?re es!
(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und ihr Gerede zu r��hren, aber wie sie
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