Der Mann des Schicksals | Page 9

George Bernard Shaw
starr zu ibm aufblickt, sieht man klar, da? sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu ��berlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.)
(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur T��re.)
(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame.
(Dame richtet sich mit einer edlen Geb?rde beleidigten Zartgef��hls auf:) Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr General.
(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, w?hrend ich Ihr Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse.
(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie k?nnen sich die M��he ersparen: sie sind nicht dort.
(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt auf ihre Brust.)
(Dame mit niedlicher Kl?glichkeit:) Herr General, ich m?chte nur einen kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir wenigstens den!
(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vern��nftige Bitte, Madame?
(Dame weil er nicht kurzweg abschl?gt, ermutigt:) Nein--aber gerade deshalb m��ssen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen W��nsche vern��nftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben f��r Ihre Siege, Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist im Begriff, ihm wieder zu F��?en zu fallen.)
(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich ?rgerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, h?lt einen Augenblick inne und sagt ��ber seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort erblickt, f��hlt er, da? sein Sieg vollst?ndig ist und da? er sich jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er kommt zur��ck und setzt sich neben sie. Sie sieht ge?ngstigt auf und r��ckt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung ergl?nzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich ��ber einen heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, da? ich tapfer bin?
(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.)
(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die franz?sische Aussprache betonend.)
(Dame.) Oh, wie k?nnen Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen an der Br��cke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell ��ber den Flu? hinweg auszufechten, w?hrend der Tod durch die L��fte sauste! (Schaudernd:) Oh, Sie vollbringen Heldentaten!
(Napoleon.) So wie Sie.
(Dame.) Ich? (Mit einem pl?tzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind also ein Feigling?
(Napoleon lacht grimmig und schl?gt auf seine Knie:) Das ist die einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen d��rfen. Der Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner L?nge, seinem Alter, seinem Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und geht, in sich hineinkichernd, mit den H?nden auf dem R��cken und vorgeneigtem Kopf, auf und ab.)
(Dame als ob sie nichts L?cherliches dabei finden k?nnte:) Ah, Sie k?nnen sich ��ber die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht, was Furcht ist.
(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an, da? Sie diesen Brief nur h?tten bekommen k?nnen, wenn Sie vorgestern ��ber die Br��cke bei Lodi zu mir gekommen w?ren,--nehmen Sie an, da? Sie keinen andern Weg gehabt h?tten und da? dies ein sicherer Weg war--vorausgesetzt, da? die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den H?nden.) W��rden Sie Angst gehabt haben?
(Dame.) Oh, f��rchterliche Angst! t?dliche Angst! (Sie pre?t ihre H?nde aufs Herz.) Die blo?e Vorstellung schmerzt schon!
(Napoleon unbeugsam:) W��rden Sie wegen der Depeschen gekommen sein?
(Dame ��berw?ltigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie mich nicht! Ich h?tte kommen m��ssen!
(Napoleon.) Warum?
(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen w?re. Weil es keinen andern Ausweg gegeben h?tte!
(Napoleon mit ��berzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr verlangt h?tte, da? Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst w��rden ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag, ist die einzige, die Sie sowohl beim j��ngsten Tambour als auch bei mir finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf treibt: Gleichg��ltigkeit macht, da? sie davonlaufen. Furcht ist die Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl, besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde, weil ich mich f��rchtete einzugreifen. Ich f��hlte mich als Feigling bis in die Fu?spitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten r?chte ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von irgend etwas, das er wirklich wollte, zur��ckgehalten, oder auch nur eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, da? es keine Frauen in der
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