nicht geachtet hatte; er hing mit
seinen Lippen dran, als ob ein Augenblick Unterbrechung der
Augenblick seines Todes wäre. Die Bewegung ihrer Hand war wie
eines Arztes, der seinen Kranken gern wieder gesund sähe; im nächsten
Augenblick wollte sie sie wegziehen, aber es schien, als ob ihr die
Kraft dazu fehlte. Ihre Geschwister kamen. Der Vater entdeckte ihnen
den Vorfall kurz und erwartete ihre Antwort nicht, sondern lief zur
Mutter, die er in Tränen herbeiholte. Alle willigten ein. Der Entfernung
und der andern Schwierigkeiten ward aus Schonung für den Kranken
nicht erwähnt. Alles richtete sich ein, wie er besser wurde.
Man erlasse mir die Beschreibung der Hochzeit. Mit meiner Leser
Erlaubnis wollen wir uns in die Tür des Pfarrhofes stellen und unser
junges Paar bei seinem Einzug bewillkommen.
Zweiter Teil
Als Albertine ihren Vater und ihre Geschwister, die sie begleitet hatten,
aus dem Gesicht zu verlieren und von lauter fremden und unbekannten
Gegenständen sich umgeben zu fühlen anfing, verdoppelte sich die
Angst ihres Herzens, und folglich auch die Tränengüsse, in welchen
diese sich von ihrer frühsten Jugend an Luft zu machen pflegte. Da es
ihr nun itzt besonders wegen des Abschieds von den Ihrigen an keinem
Vorwand fehlte, beschloß sie, der unbeantworteten bekümmerten
Fragen ihres Mannes ungeachtet, sie wolle sich einmal recht satt
weinen.
Sie kamen nach einer starken Tagereise vor den Toren ihres Dorfes an.
An dem Heck stand der Schulz des Dorfs mit entblößtem Haupte, nebst
einigen der Angesehensten aus der Gemeine: "wir haben schon seit
Sonnenuntergang auf Sie gewartet, Herr Pfarrer", sagten sie. "Tausend
Glück und Segen zu Ihrer Veränderung!" Mannheim schüttelte jedem
von ihnen die Hand, ohne daß er zu antworten imstande war. Sie sahen
ihm die innere Bewegung seines Herzens auf dem Gesichte wohl an,
und begleiteten ihn mit entblößtem Häuptern bis vor die Tür seiner
Pfarrwohnung. Dieser Anblick war ein wehendes Abendlüftchen für
das ermattete Herz unserer Albertine. Sie hoben sie beim Heraussteigen
aus dem Wagen; ihre Freundlichkeit schlug in dem Augenblick, als die
rauhen Kerle sie sahen, einen monarchischen Thron in ihrer aller
Herzen auf; sie nötigte sie herein, sagte ihrer alten Haushälterin, die sie
vor sich fand, sie möchte ihnen allen ein Abendessen machen. Das
wäre alles schon bestellt, versetzte jene. Nur drei aus der Gesellschaft
nahmen die Einladung der jungen Frau Pastorin an, und baten sie, zu
ihrem nicht geringen Erstaunen, mit ihnen vorlieb zu nehmen. Die
Gemeine hätte sich die Freiheit genommen, ihren lieben Herrn Pfarrer
Mannheim bei einer so außerordentlichen Gelegenheit zu bewirten.
"Hier ist mein Assoziierter", rief Mannheim, der eben mit dem vierten
Gast, den er mit Gewalt beim Fortgehen noch von dem Hoftor
zurückgeschleppt, in die Stube trat, "diesem wackern Mann, liebe Frau,
haben wir alle Ordnung zu danken, die du in unsern Zimmern finden
wirst." In der Tat hatte er während der Abwesenheit des Pfarrers noch
verschiedene Zimmer überweißen und die Decke des Hauptsaals, den
der Pfarrer, so wie den ganzen neuen Flügel der Pfarrwohnung, auf
seine Kosten angelegt, von neuem gipsen lassen, und ihm überdem ein
Dutzend sauberer neuer Stühle hineingestellt. Der gute Mann wußte
nicht, daß sich Mannheim aus der Stadt Tapeten mitgebracht. Einige
andere Möblen, die Albertine in die Haushaltung mitbekam, trugen
nicht wenig zur Verschönerung des Ganzen bei, und das väterliche
Silberzeug und Teeservice ließen sie in den ersten Tagen ihrer neuen
Einrichtung noch immer in dem freundlichen Wahn, sie sei in dem
Hause ihres Vaters.
Die Abendmahlzeit war eine der feierlichsten, die jemals in dem Dorf
gehalten worden. Kaum hatten sie eine Viertelstunde am Tisch
gesessen, so kam eine große Prozession von Knaben und Mädchen, alle
mit Wachslichtern in den Händen, in den Hof eingezogen, stellte sich
unters Fenster und brachte der jungen Frau Pastorin eine förmliche
Serenade mit den Musikanten, die im Dorf waren, wozu einige der
besten Stimmen von ihnen von dem Schulmeister dazu verfertigte
Stanzen sangen. Es ward Wein hinausgeschickt; der Schulmeister kam
herein und brachte im Namen der ganzen Gesellschaft die Gesundheit
des Herrn Pfarrers und der Frau Pastorin aus, wozu die draußen
Stehenden mit einem herzlichen Hoch! einstimmten. So beschloß
dieser erste Abend und wiegte unser junges Paar auf den Flügeln der
Liebe ihrer Gemeine zu einer erquickenden Ruhe ein, die sie wegen der
Reise und den mancherlei Abwechselungen so nötig hatten.
Der zweite Tag schien sich ein wenig zu bewölken. Itzt mußten
Besuche abgestattet werden, und zwar zuerst bei dem Herrn des Dorfes.
Mannheim ließ sich bei ihm zum Nachmittage melden; er schickte
zurück und lud sie zum Mittagsessen ein. Nun hatte die Höflichkeit des
gnädigen Herrn, der ohnedem eine Zeitlang in französischen Diensten
gestanden war, noch eine besondere Springfeder, die war, daß
Mannheim mit ihm im Handel wegen einer seiner Zehenden stund, mit
deren Einfoderung er, weil er die Kniffe der Bauren nicht kannte, viele
Mühe hatte. Die Dame aber und das Fräulein und sein Bruder,
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