gehabt haben, wenn
nicht der Ausdruck seiner Stimme und die Tränen, die sie begleiteten,
ihr Herz ebenso ungewöhnlich angegriffen hätten, als der Antrag selbst
ungewöhnlich und unerwartet war. Sie konnten eine Weile alle beide
nicht zu sich selber kommen. "Stehen Sie doch auf", sagte sie endlich
mit schwacher Stimme. "War's denn hier Zeit?"--Bei diesen Worten
verhüllte sie sich in ihren Pelz, und er bekam den ganzen Weg über von
ihr nichts zu sehen noch zu hören.
Ein Glück, daß er es so abgepaßt, daß der Schlitten des Vaters eben
eine gute Viertelstunde voraus war. Er kam in der Stadt an, wie ein
Verbrecher, der zum Gerichtsplatz geführt wird. Alles, was er sah und
hörte, alle Fragen, die an ihn ergingen, selbst die Freundlichkeit, mit
der der Amtmann und die Seinigen ihn aufzumuntern suchten, waren
lauter Folterstöße für ihn. Albertine allein war wider alle ihre
Gewohnheit, wenn sie sonst nach der Stadt zu kommen pflegte, ihm
heut vollkommen ähnlich. Als sie so im Zirkel saßen, und auf beider
Gesichtern Angst, sich zu verraten, mit tausend Empfindungen kämpfte,
kam der kleine Bruder, ein rosiger Junge, von der Freude, so schien es,
geboren, mit großem Geschrei in die Stube gerannt und rief: "Albertine!
Dein Bräutigam ist da."
Albertine antwortete anfangs nicht; als er aber es zum zweitenmal
wiederholte und sie fragte: "wo denn?" und er antwortete: "in deiner
Kammer!" und sie aufstund und hinausging--und in dem nämlichen
Augenblick der Amtmann unserm Mannheim eine Berechnung des
jährlichen Ertrages seiner Ländereien vorlegte und ihn dringend um
seine Meinung fragte, um wieviel sie geringer oder vorzüglicher, als
die in seinem Vaterlande wäre--so überlasse ich's dem
menschenfreundlichen Leser, sich den Zustand des armen Johannes zu
denken.
"Ja--ja", sagte er, indem er das Blatt ansah, ohne etwas darauf zu sehen.
"Was denn?" fragte der Amtmann.
In dem Augenblick trat Albertine mit einem kleinen Buben aus der
Nachbarschaft herein, den sie an der Hand führte. Mannheim sah auf
und die Erholung von seiner Todesangst war so sichtbar, daß sich der
Amtmann nicht entbrechen konnte, ihn zu fragen, was ihm gewesen
wäre? "Nichts", stotterte er. Albertine begab sich hinweg. Mannheim
mußte um Erlaubnis bitten, sich zu entfernen. Die entgegengesetzten
Bewegungen, die seine Seele in so kurzer Zeit aufeinander erfahren
hatte, überwältigten seinen ganzen Nervenbau; er fühlte die angenehme
Hoffnung in seinem Innersten, er werde diesen Abend vielleicht nicht
überleben.
Der Amtmann wollte ihn nicht fortlassen. Er zwang ihn, ein Bette in
seinem Hause anzunehmen; jedermann merkte bald, daß Mannheims
Zerrüttung mehr als eine leichte Unpäßlichkeit war.
Er verfiel wirklich in eine Krankheit, die der Arzt dem besorgten
Amtmann noch gefährlicher abschilderte, als sie wirklich war. Der
Amtmann und seine ganze Familie blieben den Tag traurig; Albertine
allein nahm eine gezwungene Munterkeit an. Ihr Vater, den dies
aufmerksam machte, ging den folgenden Tag verstohlner Weise auf ihr
Zimmer. Er überraschte sie den Kopf in die Hand gestützt, in einem
Meer von Tränen. "Was gibt's hier?" sagte er; "das ist ein ganz neuer
Aufzug, Mademoiselle Albertine!" Sie sprang verwirrt von ihrem Stuhl
auf, griff nach einem Buch, wollte Entschuldigungen suchen--"still
nur!" sagte er; "ich habe wohl gesehen, daß du nicht gelesen hast. Auch
kann ein Buch dich so nicht greinen machen, das laß ich mir nicht
einreden." "Papa!" sagte sie und faßte ein Herz, "tun Sie mit mir, was
Sie wollen", indem sie zitternd ihm nach der Hand griff--"ich liebe den
Pfarrer Mannheim." "Ei, wenn es nichts mehr als das ist", sagte der
Alte, "ich liebe ihn auch. Es steht aber dahin, ob du ihm auch so
wohlgefällst, wiewohl seine Krankheit und eure beiden Affengesichter
letzthin--ei, laß uns einmal einen Versuch wagen und zu ihm auf die
Kammer gehen." "Nimmermehr!" sagte Albertine, "ich muß es Ihnen
nur gestehen, Papa; er hat mir letzt eine Erklärung getan und das ist die
Ursache seiner Krankheit."
"Ei so sollst du hingehen und ihm die Gegenerklärung tun", sagte der
Alte, indem er sie mit Nachdruck an die Hand faßte und zu Mannheim
in das Zimmer zerrte. "Ich nehm es auf mich, es bei deiner Mutter und
Schwester gutzumachen. Und einen ehrlichen Mann, wie den, und
einen alten Bekannten in meinem Hause sterben zu lassen--Mädchen!
Mädchen! wenn du mir nicht so lieb wärst--"
Man kann sich vorstellen, was diese letzte Worte, die er hörte, auf den
Kranken für einen Eindruck gemacht haben müssen. Eine himmlische
Musik in dem Augenblick, da ihm die scheidende Seele vor die Lippen
trat, könnte ihm nicht willkommner gewesen sein. Er mußte sich mit
Mühe halten, daß er nicht aus dem Bette und ihnen hin zu Füßen stürzte.
"Da hast du sie!" sagte der Alte mit den Worten unsers
unvergleichlichen Dichters, den er seinen Töchtern allein auf dem
Nachttisch erlaubte. Albertine mit niedergeschlagenen Augen und einer
unabgewischten Träne auf der Wange, sagte kein Wort. Er sog an ihrer
Hand das Leben wieder ein, das er
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