Der Landprediger | Page 6

Jakob Michael Reinhold Lenz
Anteil an seinem Kornacker sowohl als an seinem
Wiesenbau zustund; zu diesem gesellte sich noch ein anderer, der einen
Weinberg hatte, und siehe da ein kleines Landgut entstehen, das in sich
selbst gegenseitige Unterstützung fand, weder Dung noch Holz zu
bezahlen brauchte, und in einigen Jahren meinen Pfarrer und seine
Mitinteressenten reich machte. Itzt beeiferte sich jeder, einen gleichen
Vertrag mit ihm einzugehen, und, da dieses nicht wohl sein konnte,
schlossen sie sich aneinander und ahmten seinem Beispiel nach. So
ward in kurzer Zeit das Dorf eines der wohlhäbigsten in der ganzen
Gegend.
Der Pfarrer hatte den Vorzug, daß er die Vorteile des Handels auf
seinen Reisen kennen gelernet. Er war unerschöpflich an neuen
Vorschlägen, ihren Ertrag zu Gelde zu machen. Er wußte, was jede
Stadt in der Nähe für hauptsächliche Bedürfnisse hatte, und wenn sie
alle zusammenstunden, wie denn in kurzer Zeit ihr Zutrauen zu ihm
unbegrenzt war, so machte das für diesen und jenen Handlungszweig
was Beträchtliches. Er schloß sich bald mit benachbarten Edelleuten
und ihren Dörfern an, und sein Genie, das nie rastete, teilte sich nach
einigem Widerstande allen mit. Ein König hätte nicht inniger geehrt
werden können, als er es von seinen Bauten ward.
Sobald sein Vermögen ansehnlicher ward, richtete er alles in seinem
Hause mit einem Geschmack ein, der die Nacheiferung des Adels
selber erweckte. Nun war es Zeit, auf die höchste Zierde desselben zu
denken, auf die Königin, die aller dieser Vorteile froh mit ihm werden
sollte. \XDCber seiner rastlosen Tätigkeit hatte er den letzten Eindruck
der Treulosen vergessen, die ihn, die Wahrheit zu sagen, durch eine Art
Verzweiflung gespornt hatte, sich über ihre kränkende Geringschätzung
hinauszusetzen. Er reiste also die Hauptstadt vorbei, und der erste
Gedanke, der ihm einfiel, war der ehrwürdige Amtmann, dem er seine
ersten Kenntnisse der Wirtschaft zu danken hatte. Dieser war ein Vater
von mehreren Töchtern, von denen die beiden ältesten schon
verheiratet, die beiden jüngsten und ein Sohn noch in seinem Hause
waren. Er wußte, daß dieser Mann ihnen nichts mitgeben konnte, als
eine vollkommen feine und geschmackvolle Erziehung, verbunden mit
allen möglichen häuslichen Geschicklichkeiten, wovon er Augenzeuge

gewesen war. Dieses, nebst seinem Wohlstande und seinem Ruf, gab
ihm einige Hoffnung, so unglücklich seine erste Liebe gewesen war, in
seinem zweiten Antrage mit besserem Erfolg etwas wagen zu dürfen.
Er tat es. Er kam, ward noch immer wie der alte empfangen; die Augen
der jüngsten der Töchter seines Freundes nahmen ihm in der ersten
Stunde die Freiheit. Seine Unruhe war unaussprechlich, denn hier einen
Korb zu bekommen, schien ihm unter allen Schicksalen, die er
erstanden, das unerträglichste. Wie waren seitdem alle Vorzüge der
jungen Schönen aus der Knospe gegangen! Aber die Entfernung, der
Antrag selbst, das wenige, was er anzubieten hatte, gegen die
Ergetzlichkeiten einer großen Stadt, wo sie bei keiner öffentlichen
Lustbarkeit unbemerkt blieb, sein Alter endlich selber, seine Person,
die ihm niemals so häßlich vorgekommen war, sein Gesicht, auf dem
jeder gehabte Unfall eine Spur nachgelassen hatte, die
Unaufmerksamkeit auf die feinern Gegenstände der Unterhaltung, die
ihm seine bisherigen häuslichen Sorgen und Geschäfte zugezogen, alles
das machte ihn, wenn er sich ihr gegenüber befand und reden wollte, so
kleinmütig--soll eine solche Blume dazu geboren sein, an meinem
Busen zu verwelken? sagte er sich unaufhörlich, und eine Träne trat
ihm ins niedergeschlagene Auge.
Er bemerkte eine besondere Eigenschaft an ihr, die ihm wieder Mut gab,
das war ein merkbarer Hang zur Einsamkeit. Ob, weil alle äußere
Gegenstände, die die Stadt ihr aufweisen konnte, ihr Herz nicht
befriedigten, ob, weil sie glaubte, daß es ihr besser ließe, lasse ich
unentschieden, genug, es liefen bisweilen Monate hin, daß sie von dem
Landgut, wohin sie ihren Vater allein zu begleiten pflegte, auch nicht
nach der Stadt einmal hören mochte. Alsdann aber ergab sie sich auch
im Gegenteil bei ihrer Wiederkunft den Ergetzlichkeiten der Stadt mit
einer ordentlichen Art von Zügellosigkeit, und überhaupt hatte sie die
bei Frauenzimmern so seltene Eigenschaft, nichts nur halb zu tun oder
zu wollen.
"Albertine!" sagte er einsmals zu ihr, als sie eben von dem Landgut
ihres Vaters nach der Stadt zurück fuhren--Es war ein schöner heitrer
Wintertag gewesen und die untergehende Sonne schien eben aus
verklärten Wolken mit ihrer letzten Kraft auf den entgegenglühenden

Schnee; er stand hinter ihrem Schlitten und führte ihn, derweile sie in
ihrem Pelz eingewickelt den Himmel und den Schnee an Röte
beschämte--"Albertine", sagte er, indem er sich zu ihr herüberbog, "daß
ich ein König wäre!" "Was fehlt Ihnen?" rief sie hinter ihrem Schlupfer,
mit einer Stimme, deren Zauberklang er nicht länger widerstehen
konnte. "Ach! ich habe Ihnen weiter nichts als eine Pfarre anzubieten",
schrie er, indem er sich plötzlich vom Schlitten losriß und sich mitten
in dem Schnee vor ihr niederwarf. Eine solche Erklärung auf der
öffentlichen Landstraße, auf der freilich wenig Menschen zu vermuten
waren, würde alles mögliche Beleidigende für sie
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