Der Landprediger | Page 4

Jakob Michael Reinhold Lenz
vorbei; er nutzte
überall, so viel er konnte, seinen Aufenthalt, obgleich aber seine Sinnen
und Verstand unaufhörlich durch neue Gegenstände und Kenntnisse
gefesselt wurden, so blieb doch das Innre seines Herzens ein Heiligtum,
worin für seine wunderschöne Beutelstrickerin das heilige Feuer
unauslöschlich brannte. Er hütete sich sehr, ihr Bild in seiner Phantasie
wieder auszumalen, weil er aus der Erfahrung gemerkt, daß dieses ihn
zu allen seinen Arbeiten untüchtig machte, und also von seinem Zweck
immer weiter entfernte, aber der dunkle verstohlne Gedanke an sie war
ihm süßer, als alles Zuckerwerk, das die schönen Geister aus dem
heiligsten Schatz der menschlichen Natur, aus dem Geheimnis ihres
Herzens, backen. Auch schrieb er ihr nie, ließ sie auch niemals grüßen.
Zu sehr versichert ihrer gleichen Seelenstimmung, war's ihm, als ob sie
ihm immer bei jedem seiner Schritte zur Seite stund und alles wissen
mußte, was er tat und vorhatte.
Bei ihr war es anders. Ein Jahr lang, als er nach England ging, hatte
weder ihr noch sein Vater die geringste Nachricht von ihm erhalten.
Als es darauf wieder hieß, er sei in Deutschland, spürte sie gerade so
viel Freude darüber, als es ihr gemacht haben würde, vom Achmet
Effendi zu hören, er sei wieder in Berlin angekommen.
Das war nun ganz natürlich; und welcher Herzens- und Mädchenkenner,
der nicht etwa mit unserm Johannes sich im nämlichen Falle befindet,
wird sie nicht entschuldigen?
Aber Johannes Mannheim nicht also. Als er zu Jungfer Susanna Luzilla
Bulac in die Stube trat, und einen feinen jungen Abbé zierlich gekleidet
auf ihrem Sofa erblickte, der an ihrem Metier Spitzen klöpfelte, sie aber,
ein saubergebundenes Buch in Taschenformat in der Hand, im

mußlinenen Negligé nachlässig bei ihm hingegossen, wie sie
verwundernd aufstand, ihn gleichgültig über und über, vom Haupt bis
zu Füßen beschaute und seinen ehrerbietigen Bückling mit einem so
schnell gezogenen Knicks, als ob er ihr schon leid täte, eh' er geendigt
war, und den kurzen Worten beantwortete: "Was wär' Ihnen lieb, mein
Herr?"-Erschrak er fast sehr darob und seine Mienen sanken zu Boden.
"Mademoiselle!" sagte er, oder vielmehr er glaubte es zu sagen, denn in
der Tat verging ihm alle Besinnung. Er hatte sich, als er die Zinnen der
Stadt wieder zu Gesicht bekam, vorgenommen, eine der
entzückendsten Rollen seines Lebens zu spielen. Sie würde ihn nicht
erkennen, meinte er, und nun wollt' er, unter der Gestalt eines
Fremdlings, jede Saite ihres Herzens mit Nachrichten von ihrem
Johannes treffen, und sich das königliche Schauspiel geben, alle
Widerwärtigkeiten und Gefährnisse seines Lebens zum andernmal
schöner empfunden zu sehen, aber ach!-Das Gespenst da, das häßliche
Gespenst in dem runden, gepuderten Haar, mit seidenem Mantel an
ihrem Metier--wo sein Beutel geklöpfelt war--Ich muß meinen Lesern
diese Erscheinung erklären. Es war ein junger Stadtpfarrer, der sich in
Luzillen verliebt, um sie angehalten, ihr Jawort, ihres Vaters Jawort
erhalten hatte--und morgen sollte die Hochzeit sein. Jedermann
wünschte ihm Glück zu der Wahl, und ihr. Sie wären einander wert,
sagte der Hauptmann Weidenbaum, der noch niemals was Unschönes
gesagt hat. Der Obriste von Wangendorf selber hatte dem jungen Paar
seine Gegenvisite gemacht. Er hatte die junge Frau Kaplänin unter das
Kinn gefaßt, und gesagt: wenn er einen Sohn bekäme, sollte er Pfarrer
werden. Der Herr Obristleutnant hatte ihr das Leben des Magister
Sebaldus Nothanker in englischem Bande zugeschickt und mit eigener
Hand auf Französisch vorn in das Buch geschrieben. "Félicitez vous,
Mademoiselle", hatte er geschrieben, "d'éviter les désastres contenus
dans ce livre, et de faire les délices d'une ville, qui vous estime, au lieu
d'errer de campagne à campagne, d'un village à l'autre, victime des
préjugés de Votre état et des maux les plus affreux de l'indigence et de
la superstition." Die sämtlichen Herren von der Regierung hatten ihre
Visiten mit Billetten, einige auch persönlich, erwidert.
Nichtsdestoweniger unterstund sich Herr Johannes Mannheim, den sie
gleich auf den zweiten Blick erkannte, zu einer solchen Zeit, an einem
solchen Ort, seine Visite zu machen. Er mußte von ihrer vorhabenden

Vermählung wenigstens doch schon in England gehört haben.
Der Herr Hofkaplan blieben ungestört am Metier sitzen.
Johannes Mannheim schaute auf, stotterte, errötete: "Ich komme, um
Ihnen viele Grüße--von einem gewissen Herrn Mannheim zu bringen."
"Mein Herr, Sie sind gewiß unrecht, ich kenne so keinen Namen--"
"So keinen Namen?" wiederholte Mannheim mit einem Ton, in
welchen er alles legte, was seiner Imagination jemals von dem Ton der
alten Redner in ihren Schranken, oder vor der Armee vorgeklungen
sein mochte.
"Mannheim!" rief der Abbé durch die Fistel, "was ist das für ein
Name?"
"Es ist--ich weiß nicht--vielleicht meinen Sie den Sohn von dem Pfarrer
Mannheim, der ehedessen meines Vaters Nachbar war."
"Ist er's nicht mehr?" fragte Johannes.
"Soviel ich weiß, hat er die Pfarrei verlassen. Doch Sie können die
beste Nachricht davon einziehen bei dem Schulkollegen Hecht, mein
ich, da pflegt er ja sonst zu logieren. Nicht wahr, mari! hast
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