Der Landprediger | Page 3

Jakob Michael Reinhold Lenz
es, er habe sich
verheiratet, bald, er habe sich aus dem Staube gemacht: umgesattelt
hatte er wenigstens dreimal, und, wegen lüderlicher Wirtschaft,
Schulden und Duelle, das Consilium abeundi mehr als dreimal erhalten.

Unterdessen hatte er sich bei einem königlichen Amtmann eingemietet,
mit dem er von Zeit zu Zeit, so oft es seine Stunden erlaubten,
Ausschweifungen aufs Land machte und die Ausübung dessen studierte,
wovon ihm die Theorie der Ökonomisten doch nur sehr dunkle
Vorstellungen gab. Dieser Amtmann hatte ein Haus in der Stadt, wo
seine Familie wohnte, derweilen er seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf
dem Lande nahm und nur im Winter, wenn die meisten landwirtlichen
Arbeiten vorbei waren, sich in dem Schoß seiner Gattin und Kinder von
den Mühseligkeiten des Lebens erholte. Mit diesen lebte unser
Johannes, derweil die Ungewitter des öffentlichen Rufs unbemerkt
hoch über Ihm wegstürmten, in goldener Zufriedenheit. Auch hatte er
Gelegenheit, bei ihnen alles zu sehen und anzunehmen, was Überfluß,
Bequemlichkeit und Geschmack den Sitten, den Manieren und der
ganzen Summe unserer Gefühle Feines und Gefälliges mitzuteilen
pflegen.
Er war einigemal mit ihnen auf Bällen gewesen und durch sie auf
diesen in Verbindungen geraten, wo er die große Welt kennen lernen
konnte, nicht um in ihr nach etwas zu streben, sondern um sich den
falschen Firnis zu benehmen, den die Imagination der geringern Stände
gemeinhin sich um die höheren lügt und der dem Gefühl ihres eigenen
Glücks so gefährlich ist. Er lernte Personen von Verdienst unter diesen
kennen, die sich in jeder Maske, in der die Vorsehung sie auf die große
Schaubühne der Welt gestellt hat, immer gleichsehen, und sie nahmen
ihm das Vorurteil, das sich zu den überspannten Vorstellungen, die wir
vorhin angemerkt haben, so gern hinzuzugesellen pflegt, daß
jedermann, der dem Range nach über uns steht, eben dadurch alle
persönliche Hochachtung verlieren müsse. Er fühlte das große
Prinzipium der Gleichheit alles dessen, was gleich denkt, das durch alle
Stände und Verhältnisse geht, und nur dem Neide und der
Unwissenheit durch äußere Dekorationen entzogen wird.
Unterdessen erschollen zu Hause die allerunangenehmsten und
kränkendsten Nachrichten für einen Geistlichen. Johannes, der viel mit
Offizieren lebte, sei unter die Soldaten gegangen; andere versicherten,
er gehe mit niemand als dem Adel um und sei willens, sich adeln zu
lassen. Sein Vater, ohne auch nur die Unmöglichkeit von alledem zu

ahnden, erschrak über alle diese Gerüchte, als ob sich an ihnen gar
nicht mehr zweifeln ließe. Endlich wurden alle seine Befahrungen, wie
durch einen Donnerschlag, durch einen Brief bekräftigt, den er von
Johannes aus Genf erhielt, wohin er einen Jungen von Adel auf seinen
Reisen begleitet hatte.
Des Propstes Tochter hatte anfänglich eine heimliche Freude darüber.
Luzilla, dieses war ihr Name, war bis in ihr zwölftes Jahr die
Bewunderung und der Neid--bloß ihrer eigenen Gedanken und des
Spiegels gewesen, das heißt, sie war auf dem Lande erzogen und
kannte die Stadt nur aus den Romanen. Man hatte ihr
nichtsdestoweniger Singmeister und Sprachmeister gehalten, die sich
ihr Vater mit großen Unkosten aus der Stadt verschrieb. Alles, was sie
bisher von Johannes aus der Fremde gehört, hatte ihr, des Wehklagens
seines, und des teilnehmenden Bedaurens ihres Vaters ungeachtet, sehr
wohl gefallen. Zu wissen stehet, daß ihr Vater ein alter Mann war, der
sich, wegen Zähnemangels und aus Liebe zur Ruhe, unaufhörlich mit
dem Gedanken trug, sich einen Gehülfen an seiner Pfarre zu nehmen.
Es war ihm also gar nicht recht, daß unser Johannes, für dessen Glück
er die Gewährung auf sich genommen, so lang in der Fremde blieb.
Luzilla, in diesem Stück ihres Vaters wahre Tochter, hatte doch, in
Ansehung der Art dieses Glückes und der Entwürfe zu demselbigen,
von ihrem Vater sehr abgehende Meinungen. Ein junger Offizier wäre
ihr in aller Absicht viel lieber gewesen, als ein junger Pfarrer.--Dieses
währte, bis sie in die Stadt kam, da sie dann sehr geschwind das
Subjekt mit dem Prädikat verwechseln lernte. Ich brauche diese Worte
hier deswegen, weil ihr Vater, der ein vollkommenes Frauenzimmer
aus ihr bilden wollte, sich alle Mühe gab, ihr die Wolfische Logik
beizubringen, von der er zur Metaphysik und von dieser zur Moral
übergehen wollte. Aber ach! ein unvorgesehener Zufall durchschnitt
diesen schönen Plan. Eine Kusine von ihr in Holland fing eine
Korrespondenz mit ihr an; es war ein Elend, daß weder Vater, noch
Tochter, noch irgend ein andrer Gelehrter aus der ganzen Gegend ihr
den Brief dechiffrieren konnte. Nun war kein Rat dafür, das arme Kind
mußte Französisch lernen.

Sie ward in die Stadt zu einer Französin getan, die Kostgängerinnen
hielt, und, weil sie vermutlich ehedessen die Haushälterin eines mestre
de camp gewesen war, sich sehr bescheiden Me. de Liancourt
schlechtweg nennen ließ. Auch hatte alles, was von beau monde in der
Stadt war, freien Zutritt zu ihr, worunter verschiedene Offiziere waren,
die unsern herumschweifenden Johannes mit seinem roten Geldbeutel
bald aus ihrer Imagination verwischten.
Unterdessen flogen Täler, Seen und Gebirge bei ihm
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 25
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.