Der Kalendermann vom Veitsberg | Page 7

O. Glaubrecht
dem Frieden Gottes in der Brust
hinaustritt auf die gesegneten Felder oder auf die grünen Höhen, der
fühlt tief das Wort der Schrift: »Groß sind deine Werke, Herr, wer ihrer
achtet, der hat eitel Lust daran.« --
Die Stille des Herbstmorgens waltete auch um das Häuschen her, in
dem der Schulmeister Jakob Konrad Justus wohnte. Das stand auf dem
Veitsberg, eine Stunde von Grünberg, neben der Kirche, und drum her
eine kleine Zahl von Häusern. Von der Höhe herab übersieht man eine
Reihe von Dörfern, deren Bewohner sonntäglich entweder die Kirche
vom Veitsberg, oder die vom Wirberg besuchen. An den Kirchhof lehnt
sich das Schulhaus, damals wie jetzt noch klein und unscheinbar, aber
heimisch und traulich gelegen. Trauben rankten an der Sonnenseite
empor und bedeckten fast die kleinen Fenster, und zwischen den
breiten Blättern schimmerten blau und hellgrün die saftigen Trauben
hervor. --
In dem Häuschen herrschte eine düstere Stille, nur manchmal durch
einen einzelnen Laut der Klage unterbrochen. Magdalenchen, das
jüngste Kind des Schulmeisters, war gestorben, und um das offne
Särglein in der Wohnstube standen Vater und Mutter und drei
Geschwister, auch die Gespielinnen des Kindes und einige Nachbarn
standen da, Alle sonntäglich geschmückt und den Rosmarinkeim in der
Hand. »Nun Kinder«, sprach der Schulmeister in wehmüthigem Tone,
»draußen läuten die Glocken, seht euch euer Schwesterlein noch einmal
an, es ist Zeit, daß wir aufbrechen; und ihr Kameraden meines

Magdalenchens, gebt ihm die Blumen, die ihr tragt, in sein
Todtenstübchen. So, nun sieht mein Lenchen wie ein Engel aus, der
unter Blumen schläft. Nun, Nachbarn, deckt den Sarg zu und laßt uns
gehen. Komm Dorothe und sei fest; ein Kind weniger auf Erden und
einen Engel mehr im Himmel, wozu da das Trauern? Das Mägdlein ist
nicht todt, es schläft nur, und ist droben schon erwacht. Der Herr ist
sein Hirte und weidet sein Schäflein, gebe er auch uns seinen Frieden in
die Seele und die Hoffnung des seligen Wiedersehens in's Herz. Und
damit Amen in seinem Namen! -- Wie dann der Zug der Leidtragenden
um das Grab stand, wie das Särglein hinabgesenkt und mit Erde
bedeckt war, wie sie die Blumenkrone auf dem Hügel befestigt hatten;
da sprach der Schulmeister, indem ihm die Thränen über die Wangen
rollten: »Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun. Du, Herr,
wirst es wohl machen. -- Du warst ein Kind guter Art und das Loos ist
dir gefallen auf's Liebliche; dir ist ein schön Erbtheil geworden!« --
»Und nun, Nachbarn, betet ein still Vaterunser mit uns, und dann habt
Dank für eure Liebe. Der Herr vergelt's. -- So, und nochmals Amen!
und einen freundlichen guten Morgen euch Allen, auch euch, ihr
Kinder!«
»Guten Morgen, Bruder!« rief's da plötzlich, und der Jäger, den wir zu
Grünberg im Riesen kennen gelernt, eilte über die Gräber weg, und
schlang seinen Arm um den Schulmeister und küßte ihn. Aber
erschrocken fuhr er zurück, als er die Thränen in seinen Augen
gewahrte. »Was ist mit euch, Bruder«, rief er, »habt ihr Eines der Euren
verloren? Doch nicht meinen Pathen Heinrich, das wolle Gott
verhüten!« »Sei willkommen«, sprach freundlich der Schulmeister,
»auf dem Grab meiner Jüngsten muß ich dir heute die Hand reichen.
Aber es ist auch so gut; der Herr hat's gethan! Siehe, diese sind mir ja
noch übrig, meine Dorothe, mein Heinrich, meine Marie und meine
Anna. Bin ich da nicht reich genug? -- Und woher kommst du denn,
Bruder Heinrich, und was trägst du denn unter deinem Mantel? Ein
Kind? Wem gehört denn das? Dein vielleicht?« »Seid ihr verheirathet,
Schwager?« fragte Dorothe. »Davon laßt uns drinnen im Hause reden«,
sprach in leiserem Tone der Jäger, »was ich euch zu sagen habe, gehört
nicht vor Jedermanns Ohren.«

Wie sie nun in's Haus gegangen waren und der Jäger die Tücher, mit
denen es umhüllt war, abgebunden hatte, da erwachte das Kind, und da
es die gewohnten Gesichter nicht sah, so fing es an zu weinen. Dorothe
nahm es auf ihren Arm und liebkoste es, und hieß die Marie
hinausgehen und Milch für das Kleine holen, während Anna auf einen
Schemel stieg, um sich den kleinen Fremdling besser zu betrachten.
»Wo das Kind eben ist, Schwägerin«, sprach da der Jäger, »in euren
Armen, da möcht' ich es gern auf einige Zeit lassen. Seid so gütig und
nehmt euch seiner an; das Kind muß von Vater und Mutter weg, seid
ihr ihm Vater und Mutter, bis ich es wiederhole. An einem schönen
Stück Geld für eure Mühe soll's nicht fehlen; hier ist einstweilen der
Anfang.« Und der Jäger legte den Beutel mit Geld auf den Tisch.
»Ich wünschte, Heinrich«, hub da der Schulmeister an, »du sagtest mir
erst, ehe du mich mit dem Gelde versuchst, wem das Kind gehört und
ob es ehrlicher Leute Kind ist; denn selbst deine Bitte könnte mich
nicht vermögen, ein fremd Kind in mein Haus
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