Der Kalendermann vom Veitsberg | Page 6

O. Glaubrecht
endlich sein Widerwille gegen mich aufhören, und er mir
um deinetwillen erlauben, dein Weib sein zu dürfen?« -- »O Mora«,
rief hastig der Fremde, indem eine brennende Röthe sein blasses
Gesicht überzog, »zwinge mich nicht, daß ich dir meinen Vater
schildere, wie er mir erscheint nach seiner Härte gegen mich. Du kennst
ihn nicht. Ich habe nie gehört, daß er jemals etwas zurückgenommen
hätte, das er gesagt. Als er durch feile Zwischenträger von unserer
Liebe hörte, da beschied er mich einst in seine Arbeitsstube. Lange
schien er nach Fassung zu ringen, und ging mit gesenktem Kopfe auf
und ab. Dann blieb er plötzlich vor mir stehen und sprach in leisem
Tone: »Lewin, du hast die Wahl, entweder du gibst dein Vorhaben mit
jenem Mädchen auf, oder du bist enterbt, und bekommst meinen Fluch
oben drein. Jetzt geh' und wähle!« »Aber um Christi willen, Lewin«,
rief das Weib in höchster Aufregung, »warum hast du mir davon nichts
gesagt? Nur obenhin berührtest du, dein Vater mißbillige unsere
Verbindung vor der Hand; sie müsse darum heimlich vollzogen werden.
O hättest du mich doch bei meiner alten Base gelassen, und mich
junges, unerfahrenes Mädchen nicht in einen Stand hineingezwungen,
der mir jetzt, wie ich sehe, zum Verderben werden wird. Sag' mir,
Lewin, ich frage dich bei Gott, dem Allwissenden, nicht wahr, dein
Vater nöthigte dich selbst zu der Reise nach Deutschland, damit du
mich vergessen solltest?« »Ja, Mora, so ist es«, sprach der Fremde mit
niedergeschlagenem Auge; »ich that Unrecht, großes Unrecht, beides
an dir und an meinem Vater. Ich sehe unendliches Herzeleid über uns
hereinbrechen, und es ist mir manchmal, als wenn mein Herz mit
tausend Messern durchbohrt würde. Ja, Gottes Gerichte sind ernst und
strenge! Laß mir nur den Trost, daß du mich nicht hassest, daß du mit
mir tragen willst, was Gott mir auferlegt hat!« -- »Hast du je daran
gezweifelt, Lewin«, sprach mit sanfter Stimme die Frau, indem sie
ihren Arm um des Mannes Nacken schlang. »Komme, was da wolle,
ich bin auf Alles gefaßt; ich bin dein Weib, rechtmäßig durch den
Segen der Kirche dir angetraut, und das will ich bleiben, ob man mich
von dir reißt oder nicht. Laß uns aber zum Herrn beten, daß er uns
unsere Sünden vergebe und die Last uns leicht mache, nach seinem

gnädigen Willen; ach, daß er vor Allem unser Herz stark mache für die
bittere Trennung von unserm Kinde, und es uns bald wieder schenke,
an Leib und Seele gesund.« -- Ein Kuß besiegelte den frommen Vorsatz
und still betend und weinend saßen sie am Lager ihres Kindes, bis der
Morgen graute.
Wie der Tag anbrach, verlor sich ein Tänzer nach dem andern vom
Tanzplatze; die Musik verstummte, und auf den Straßen begann es laut
zu werden, denn der zweite Markttag brach an. Mit dem Verstummen
der Musik sanken die Fremden in einen kurzen Schlaf; böse Träume
unterbrachen ihn oft.
Ein leises Pochen an die Thüre weckte zuerst den Herrn; und wie er
sich erhob, da fuhr mit einem Schrei auch die Frau auf, und griff hastig
nach dem Kinde an ihrer Seite. Es war der Jäger, der anfragte, ob's der
gnädigen Herrschaft gefällig wäre, das Frühstück zu nehmen? Ein
Kopfnicken war die einzige Antwort. Im Hinausgehen fragte der Herr
hastig: »Bist du fertig, Heinrich?« »Zu dienen, Ihre Gnaden«, war die
Antwort.
Unberührt stand noch das Frühstück, als der Jäger bald darauf in einen
weiten Mantel gehüllt zur Stube hineintrat und an der Thüre stehen
blieb. Da schritt die junge Frau hastig auf das Bett zu, wo das Kind
ruhte, schlang mit Hast mehrere Tücher um dasselbe, knüpfte eine
Perlenschnur von ihrem Halse ab und band sie dem Kinde um, und
unter sanftem Weinen sprach sie: »Nimm den letzten Kuß, Engel
meines Lebens; der Herr sei mit dir, mein Herzenskind. Und nun fort,
Heinrich, fort, oder ich sterbe auf der Stelle!« »Hier, Heinrich«, rief mit
abgewandtem Angesicht der Fremde, und legte einen schweren Beutel
in des Dieners Hand. »Alles bleibt nach der Verabredung.«
O Menschenherz, wie viel Jammer bereitest du dir selbst! Wie wahr
bleibt deines Heilands Wort: »Wenn du es wüßtest, so würdest du auch
bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber
nun ist es vor deinen Augen verborgen.«

4. Das Trauerhaus.
Der Morgen des 17. Octobers war so schön, wie nur ein Herbsttag sein
kann im lieben Deutschland. Die Sonne schien warm vom wolkenlosen
Himmel herab, der Herbstthau schimmerte noch im Grase, und
zwischendurch zirpten die Heimchen. In langen weißen Fäden flog der
Sommer über die Felder hin, hier von einzelnen Sträuchern in seinem
Flug aufgehalten, und dort vom Morgenwind einem Wandrer
entgegengeführt. Eine eigenthümliche Stille herrschte in der Natur, nur
hin und wieder unterbrochen vom lauten Schlag der Drossel oder vom
sanften Gesang des Rothkehlchens. O unser Vaterland ist schön zu
jeder Jahreszeit; und wer mit
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