Der Hofmeister | Page 6

Jacob Michael Reinhold Lenz
Rath. Ich bedaure ihn--und Sie noch Vielmehr, Herr Pastor, da? Sie solchen Sohn haben.
Pastor. Verzeihen Euer Gnaden, ich kann mich über meinen Sohn nicht beschweren; er ist ein sittsamer und geschickter Mensch, die ganze Welt und Dero Herr Bruder und Frau Schw?gerin selbst werden ihm das eingestehen müssen.
Geh. Rath. Ich sprech' ihm das all nicht ab, aber er ist ein Thor, und hat alle sein Mi?vergnügen sich selber zu danken. Er sollte den Sternen danken, da? meinem Bruder das Geld, das er für den Hofmeister zahlt, einmal anf?ngt zu lieb zu werden.
Pastor. Aber bedenken Sie doch: nichts mehr als hundert Dukaten; hundert arme Duk?tchen; und dreihundert hatt' er ihm doch im ersten Jahr versprochen: aber beym Schlu? desselben nur hundert und vierzig ausgezahlt, jetzt beym Beschlu? des zweyten, da doch die Arbeit meines Sohnes immer zunimmt, zahlt' er ihm hundert, und nun beym Anfang des dritten wird ihm auch das zu viel.--Das ist wider alle Billigkeit! Verzeihn Sie mir.
Geh. Rath. La? es doch.--Das h?tt' ich Euch Leuten voraussagen wollen, und doch solle Ihr Sohn Gott danken, wenn ihn nur der Major beym Kopf n?hm' und aus dem Hause würfe. Was soll er da, sagen Sie mir Herr? Wollen Sie ein Vater für ihr Kind seyn und schliessen so Augen, Mund und Ohren für seine ganze Glückseligkeit zu? Tagdieben, und sich Geld dafür bezahlen lassen? Die edelsten Stunden des Tages bey einem jungen Herrn versitzen, der nichts lernen mag und mit dem er's doch nicht verderben darf, und die übrigen Stunden, die der Erhaltung seines Lebens, den Speisen und dem Schlaf geheiligt sind, an einer Sklavenkette verseufzen; an den Winken der gn?digen Frau h?ngen, und sich in die Falten des gn?digen Herrn hineinstudiren; essen wenn er satt ist und fasten, wenn er hungrig ist, Punsch trinken, wenn er p–ss–n m?chte, und Karten spielen, wenn er das Lauffen hat. Ohne Freyheit geht das Leben bergab rückw?rts, Freyheit ist das Element des Menschen wie das Wasser des Fisches, und ein Mensch der sich der Freyheit begiebt, vergiftet die edelsten Geister seines Bluts, erstickt seine süssesten Freuden des Lebens in der Blüthe und ermordet sich selbst.
Pastor. Aber--Oh! erlauben Sie mir; das mu? sich ja jeder Hofmeister gefallen lassen; man kann nicht immer seinen Willen haben, und das l??t sich mein Sohn auch gern gefallen, nur--
Geh. Rath. Desto schlimmer, wenn er sichs gefallen l??t, desto schlimmer; er hat den Vorrechten eines Menschen entsagt, der nach seinen Grunds?tzen mu? leben k?nnen, sonst bleibt er kein Mensch. M?gen die Elenden, die ihre Ideen nicht zu h?herer Glückseligkeit zu erheben wissen, als zu essen und zu trinken, m?gen die sich im Keficht zu Tode füttern lassen, aber ein Gelehrter, ein Mensch, der den Adel seiner Seele fühlt, der den Tod nicht so scheuen sollt' als eine Handlung, die wider seine Grunds?tze l?uft...
Pastor. Aber was ist zu machen in der Welt? Was wollte mein Sohn anfangen, wenn Dero Herr Bruder ihm die Condition aufsagten?
Geh. Rath. La?t den Burschen was lernen, da? er dem Staat nützen kann. Potz hundert Herr Pastor, Sie haben ihn doch nicht zum Bedienten aufgezogen, und was ist er anders als Bedienter, wenn er seine Freyheit einer Privatperson für einige Handvoll Dukaten verkauft? Sklav' ist er, über den die Herrschaft unumschr?nkte Gewalt hat, nur da? er so viel auf der Akademie gelernt haben mu?, ihren unbesonnenen Anmuthungen von weitem zuvorzukommen und so einen Firni? über seine Dienstbarkeit zu streichen: da? hei?t denn ein feiner artiger Mensch, ein unvergleichlicher Mensch; ein unvergleichlicher Schurke, der, statt seine Kr?fte und seinen Verstand dem allgemeinen Besten aufzuopfern, damit die Rasereyen einer dampfigten Dame und eines abged?mpften Officiers unterstützt, die denn t?glich weiter um sich fressen wie ein Krebsschaden und zuletzt unheilbar werden. Und was ist der ganze Gewinnst am Ende? Alle Mittag Braten und alle Abend Punsch, und eine grosse Portion Galle, die ihm Tags über ins Maul gestiegen, Abends, wenn er zu Bett liegt, hinabgeschluckt, wie Pillen; das macht gesundes Blut, auf meine Ehr'! und mu? auch ein vortrefliches Herz auf die L?nge geben. Ihr beklagt Euch so viel übern Adel und über seinen Stolz, die Leute s?hn Hofmeister wie Domestiken an, Narren! was sind sie denn anders? Stehn sie nicht in Lohn und Brod bey ihnen wie jene? Aber wer hei?t Euch ihren Stolz n?hren? Wer hei?t euch Domestiken werden, wenn Ihr was gelernt habt, und einem starrk?pfischen Edelmann zinsbar werden, der sein Tage von seinen Hausgenossen nichts anders gewohnt war als sklavische Unterwürfigkeit?
Pastor. Aber Herr Geheimer Rath--Gütiger Gott! es ist in der Welt nicht anders: man mu? eine Warte haben, von der man sich nach einem ?ffentlichen Amt umsehen kann, wenn man von Universit?ten kommt; wir müssen den g?ttlichen Ruf erst abwarten und ein Patron ist sehr oft das Mittel zu unserer Bef?rderung: wenigstens ist es mir so gegangen.
Geh. Rath. Schweigen Sie, Herr Pastor, ich bitt Sie,
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