Der Heizer | Page 7

Franz Kafka
hinauf, die Herren von der
Hafenbehörde hielten schon den Offizier an ihrem Tisch und machten
keine Miene, ihn je wieder loszulassen, der Oberkassier wurde sichtlich

nur durch die Ruhe des Kapitäns vor dem Dreinfahren zurückgehalten,
der Diener erwartete in Habtachtstellung jeden Augenblick einen auf
den Heizer bezüglichen Befehl seines Kapitäns.
Da konnte Karl nicht mehr untätig bleiben. Er ging also langsam zu der
Gruppe hin und überlegte im Gehen nur desto schneller, wie er die
Sache möglichst geschickt angreifen könnte. Es war wirklich höchste
Zeit, noch ein kleines Weilchen nur, und sie konnten ganz gut beide aus
dem Bureau fliegen. Der Kapitän mochte ja ein guter Mann sein und
überdies gerade jetzt, wie es Karl schien, irgend einen besonderen
Grund haben, sich als gerechter Vorgesetzter zu zeigen, aber
schließlich war er kein Instrument, das man in Grund und Boden
spielen konnte -- und gerade so behandelte ihn der Heizer, allerdings
aus seinem grenzenlos empörten Innern heraus.
Karl sagte also zum Heizer: »Sie müssen das einfacher erzählen, klarer,
der Herr Kapitän kann es nicht würdigen, so wie Sie es ihm erzählen.
Kennt er denn alle Maschinisten und Laufburschen beim Namen oder
gar beim Taufnamen, daß er, wenn Sie nur einen solchen Namen
aussprechen, gleich wissen kann, um wen es sich handelt? Ordnen Sie
doch Ihre Beschwerden, sagen Sie die wichtigste zuerst und absteigend
die anderen, vielleicht wird es dann überhaupt nicht mehr nötig sein,
die meisten auch nur zu erwähnen. Mir haben Sie es doch immer so
klar dargestellt!« Wenn man in Amerika Koffer stehlen kann, kann man
auch hie und da lügen, dachte er zur Entschuldigung.
Wenn es aber nur geholfen hätte! Ob es nicht auch schon zu spät war?
Der Heizer unterbrach sich zwar sofort, als er die bekannte Stimme
hörte, aber mit seinen Augen, die ganz von Tränen der beleidigten
Mannesehre, der schrecklichen Erinnerungen, der äußersten
gegenwärtigen Not verdeckt waren, konnte er Karl schon nicht einmal
gut mehr erkennen. Wie sollte er auch jetzt -- Karl sah das schweigend
vor dem jetzt Schweigenden wohl ein -- wie sollte er auch jetzt
plötzlich seine Redeweise ändern, da es ihm doch schien, als hätte er
alles, was zu sagen war, ohne die geringste Anerkennung schon
vorgebracht und als habe er andererseits noch gar nichts gesagt und
könne doch den Herren jetzt nicht zumuten, noch alles anzuhören. Und

in einem solchen Zeitpunkt kommt noch Karl, sein einziger Anhänger,
daher, will ihm gute Lehren geben, zeigt ihm aber statt dessen, daß
alles, alles verloren ist.
»Wäre ich früher gekommen, statt aus dem Fenster zu schauen,« sagte
sich Karl, senkte vor dem Heizer das Gesicht und schlug die Hände an
die Hosennaht, zum Zeichen des Endes jeder Hoffnung.
Aber der Heizer mißverstand das, witterte wohl in Karl irgendwelche
geheime Vorwürfe gegen sich, und in der guten Absicht, sie ihm
auszureden, fing er zur Krönung seiner Taten mit Karl jetzt zu streiten
an. Jetzt, wo doch die Herren am runden Tisch längst empört über den
nutzlosen Lärm waren, der ihre wichtigen Arbeiten störte, wo der
Hauptkassier allmählich die Geduld des Kapitäns unverständlich fand
und zum sofortigen Ausbruch neigte, wo der Diener, ganz wieder in der
Sphäre seiner Herren, den Heizer mit wildem Blicke maß, und wo
endlich der Herr mit dem Bambusstöckchen, zu welchem sogar der
Kapitän hie und da freundschaftlich hinübersah, schon gänzlich
abgestumpft gegen den Heizer, ja von ihm angewidert, ein kleines
Notizbuch hervorzog und, offenbar mit ganz anderen Angelegenheiten
beschäftigt, die Augen zwischen dem Notizbuch und Karl hin- und
herwandern ließ.
»Ich weiß ja, ich weiß ja,« sagte Karl, der Mühe hatte, den jetzt gegen
ihn gekehrten Schwall des Heizers abzuwehren, trotzdem aber quer
durch allen Streit noch ein Freundeslächeln für ihn übrig hatte, »Sie
haben Recht, Recht, ich habe ja nie daran gezweifelt.« Er hätte ihm
gern aus Furcht vor Schlägen die herumfahrenden Hände gehalten,
noch lieber allerdings ihn in einen Winkel gedrängt, um ihm ein paar
leise beruhigende Worte zuzuflüstern, die niemand sonst hätte hören
müssen. Aber der Heizer war außer Rand und Band. Karl begann jetzt
schon sogar aus dem Gedanken eine Art Trost zu schöpfen, daß der
Heizer im Notfall mit der Kraft seiner Verzweiflung alle anwesenden
sieben Männer bezwingen könne. Allerdings lag auf dem Schreibtisch,
wie ein Blick dorthin lehrte, ein Aufsatz mit viel zu vielen
Druckknöpfen der elektrischen Leitung und eine Hand, einfach auf sie
niedergedrückt, konnte das ganze Schiff mit allen seinen von

feindlichen Menschen gefüllten Gängen rebellisch machen.
Da trat der doch so uninteressierte Herr mit dem Bambusstöckchen auf
Karl zu und fragte, nicht überlaut, aber deutlich über allem Geschrei
des Heizers: »Wie heißen Sie denn eigentlich?« In diesem Augenblick,
als hätte jemand hinter der Tür auf diese Äußerung des Herrn gewartet,
klopfte es. Der Diener sah zum Kapitän hinüber, dieser nickte. Daher
ging der Diener zur Tür und öffnete sie. Draußen stand in einem alten
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