Der Heizer | Page 6

Franz Kafka
die Gerechtigkeit seiner Sache anlangte, an der
zweifelte Karl nicht.
Glücklicherweise zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß der Heizer
schon viel in der Welt herumgekommen war. Musterhaft ruhig nahm er
aus seinem Köfferchen mit dem ersten Griff ein Bündelchen Papiere,
sowie ein Notizbuch, ging damit, als verstünde sich das von selbst,
unter vollständiger Vernachlässigung des Oberkassiers, zum Kapitän
und breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel aus. Dem
Oberkassier blieb nichts übrig, als sich selbst hinzubemühn. »Der
Mann ist ein bekannter Querulant,« sagte er zur Erklärung, »er ist mehr
in der Kassa, als im Maschinenraum. Er hat Schubal, diesen ruhigen
Menschen, ganz zur Verzweiflung gebracht. Hören Sie einmal!«
wandte er sich an den Heizer, »Sie treiben Ihre Zudringlichkeit doch
schon wirklich zu weit. Wie oft hat man Sie schon aus den

Auszahlungsräumen hinausgeworfen, wie Sie es mit Ihren ganz,
vollständig und ausnahmslos unberechtigten Forderungen verdienen!
Wie oft sind Sie von dort in die Hauptkassa gelaufen gekommen! Wie
oft hat man Ihnen im Guten gesagt, daß Schubal Ihr unmittelbarer
Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie sich als sein Untergebener
abzufinden haben! Und jetzt kommen Sie gar noch her, wenn der Herr
Kapitän da ist, schämen sich nicht, sogar ihn zu belästigen, sondern
entblöden sich nicht einmal, als eingelernten Stimmführer Ihrer
abgeschmackten Beschuldigungen diesen Kleinen mitzubringen, den
ich überhaupt zum erstenmal auf dem Schiffe sehe!«
Karl hielt sich mit Gewalt zurück, vorzuspringen. Aber schon war auch
der Kapitän da, welcher sagte: »Hören wir den Mann doch einmal an.
Der Schubal wird mir sowieso mit der Zeit viel zu selbständig, womit
ich aber nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will.« Das letztere galt
dem Heizer, es war nur natürlich, daß er sich nicht sofort für ihn
einsetzen konnte, aber alles schien auf dem richtigen Wege. Der Heizer
begann seine Erklärungen und überwand sich gleich am Anfang, indem
er den Schubal mit »Herr« titulierte. Wie freute sich Karl am
verlassenen Schreibtisch des Oberkassiers, wo er eine Briefwage immer
wieder niederdrückte vor lauter Vergnügen. -- Herr Schubal ist
ungerecht! Herr Schubal bevorzugt die Ausländer! Herr Schubal
verwies den Heizer aus dem Maschinenraum und ließ ihn Klosette
reinigen, was doch gewiß nicht des Heizers Sache war! -- Einmal
wurde sogar die Tüchtigkeit des Herrn Schubal angezweifelt, die eher
scheinbar als wirklich vorhanden sein sollte. Bei dieser Stelle starrte
Karl mit aller Kraft den Kapitän an, zutunlich, als sei er sein Kollege,
nur damit er sich durch die etwas ungeschickte Ausdrucksweise des
Heizers nicht zu dessen Ungunsten beeinflussen lasse. Immerhin erfuhr
man aus den vielen Reden nichts Eigentliches, und wenn auch der
Kapitän noch immer vor sich hinsah, in den Augen die
Entschlossenheit, den Heizer diesmal bis zu Ende anzuhören, so
wurden doch die anderen Herren ungeduldig, und die Stimme des
Heizers regierte bald nicht mehr unumschränkt in dem Raume, was
manches befürchten ließ. Als erster setzte der Herr in Zivil sein
Bambusstöckchen in Tätigkeit und klopfte, wenn auch nur leise, auf
das Parkett. Die anderen Herren sahen natürlich hie und da hin, die

Herren von der Hafenbehörde, die offenbar pressiert waren, griffen
wieder zu den Akten und begannen, wenn auch noch etwas
geistesabwesend, sie durchzusehen, der Schiffsoffizier rückte seinem
Tische wieder näher, und der Oberkassier, der gewonnenes Spiel zu
haben glaubte, seufzte aus Ironie tief auf. Von der allgemein
eintretenden Zerstreuung schien nur der Diener bewahrt, der von den
Leiden des unter die Großen gestellten armen Mannes einen Teil
mitfühlte und Karl ernst zunickte, als wolle er damit etwas erklären.
Inzwischen ging vor den Fenstern das Hafenleben weiter; ein flaches
Lastschiff mit einem Berg von Fässern, die wunderbar verstaut sein
mußten, daß sie nicht ins Rollen kamen, zog vorüber und erzeugte in
dem Zimmer fast Dunkelheit; kleine Motorboote, die Karl jetzt, wenn
er Zeit gehabt hätte, genau hätte ansehen können, rauschten nach den
Zuckungen der Hände eines am Steuer aufrecht stehenden Mannes
schnurgerade dahin; eigentümliche Schwimmkörper tauchten hie und
da selbständig aus dem ruhelosen Wasser, wurden gleich wieder
überschwemmt und versanken vor dem erstaunten Blick; Boote der
Ozeandampfer wurden von heiß arbeitenden Matrosen
vorwärtsgerudert und waren voll von Passagieren, die darin, so wie
man sie hineingezwängt hatte, still und erwartungsvoll saßen, wenn es
auch manche nicht unterlassen konnten, die Köpfe nach den
wechselnden Szenerien zu drehen. Eine Bewegung ohne Ende, eine
Unruhe, übertragen von dem unruhigen Element auf die hilflosen
Menschen und ihre Werke!
Aber alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz genauer
Darstellung, aber was tat der Heizer! Er redete sich allerdings in
Schweiß, die Papiere auf dem Fenster konnte er längst mit seinen
zitternden Händen nicht mehr halten, aus allen Himmelsrichtungen
strömten ihm Klagen über Schubal zu, von denen seiner Meinung nach
jede einzelne genügt hätte, diesen Schubal vollständig zu begraben,
aber was er dem Kapitän vorzeigen konnte, war nur ein trauriges
Durcheinanderstrudeln aller insgesamt. Längst schon pfiff der Herr mit
dem Bambusstöckchen schwach zur Decke
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