Der Fall Deruga | Page 8

Ricarda Huch
Ich schrecke um so mehr davor zur��ck, ein Urteil dar��ber zu ?u?ern, als ich nicht in der Lage war, mir eines zu bilden. Ich bin mit der Psyche Derugas nicht vertraut, k?nnte mich nur in Phantasien ergehen, aber selbstverst?ndlich bin ich eher geneigt, Gutes als Schlechtes von einem Kollegen zu denken.?
?Sie waren,? fuhr der Vorsitzende fort, ?derjenige Kollege, dem der Angeklagte am 1. Oktober zwischen sechs und sieben Uhr in der N?he des Bahnhofs begegnete, und der ihn fragte, ob er in den ?rztlichen Verein wolle??
?Jawohl,? sagte der Hofrat. ?Ich stellte die Frage, weil ich mich nach dem, was k��rzlich vorgefallen war, kollegial zu ihm verhalten wollte. Seine Antwort, er wolle verreisen, erregte mir keinerlei Zweifel, da wir ja in der N?he des Bahnhofs waren und Deruga ein Paket trug. Dasselbe fiel mir auf, weil es gr??er war, als Herren unserer Gesellschaftskreise solche zu tragen pflegen.?
Der Vorsitzende wandte sich an Deruga mit der Frage, ob er zugebe, ein Paket getragen zu haben, und was darin gewesen sei.
?Ich erlaubte mir allerdings,? sagte Deruga, ?als ein armer Teufel, der sich nicht erdreistet, zu den Gesellschaftskreisen des Herrn von M?ulchen geh?ren zu wollen, ein Paket zu tragen. Darin wird W?sche und dergleichen gewesen sein, was man f��r die Nacht braucht.?
Der Staatsanwalt schnellte von seinem Sitz auf und bat, da? festgestellt werde, ob Deruga, als er am 3. Oktober in seine Wohnung zur��ckkehrte, ein Paket bei sich gehabt habe.
?Die Haush?lterin wird gleich vernommen werden,? sagte der Vorsitzende. ?Der Angeklagte antwortete Ihnen, Herr Hofrat, er wolle verreisen, und Sie begleiteten ihn bis zum Bahnhof. K?nnen Sie sonst etwas Sachdienliches mitteilen??
?Nein, durchaus nicht,? beteuerte der Hofrat. ?Ger��chte und Schw?tzereien zu wiederholen werden Sie mir erlassen, da dergleichen ja mehr oder weniger ��ber jeden Menschen in Umlauf ist und in ernsten F?llen nicht in Betracht gezogen werden sollte.?
?Vielleicht k?nnten Sie doch sagen,? fragte der Vorsitzende, ?was f��r einen Ruf =Dr.= Deruga im allgemeinen unter seinen Kollegen geno???
?Ich glaube nicht, da? meine diesbez��glichen Mitteilungen einen namhaften Wert f��r Sie h?tten,? entschuldigte sich der Hofrat. ?Aus dem, was ich erz?hlt habe, l??t sich ja schon mancherlei schlie?en. Den sicheren Boden der Tatsachen m?chte ich nicht verlassen.?
* * * * *
Weinh?ndler Verzielli, der n?chste Zeuge, war ein untersetzter, dunkelfarbiger Mann, der den Eid in strammer Haltung, die Augen fest auf den Pr?sidenten gerichtet, die linke Hand auf das Herz gelegt, mit lauter Stimme und leidenschaftlichem Ausdruck leistete.
?Sie sind mit dem Angeklagten bekannt, aber nicht verwandt?? fragte =Dr.= Zeunemann.
?Befreundet, sehr befreundet,? sagte Verzielli eifrig.
?Aber nicht verwandt?? wiederholte =Dr.= Zeunemann.
?Leider nicht,? sagte Verzielli, ?aber sehr befreundet. Ich liebe und bewundere ihn.?
?Sie f��hlten sich ihm zu Dank verpflichtet,? sagte der Vorsitzende freundlich, ?weil er durch einen guten Rat und auch durch eine Geldsumme, die er Ihnen vorscho?, Ihr Gl��ck begr��ndet hatte??
?Ach, Rat und Kapital, das ist nicht die Hauptsache,? rief Verzielli aus. ?Er hat mir den Glauben an die Menschheit wiedergegeben. Er ist edel und hilfsbereit.?
?Sie konnten ihm das Geliehene bald zur��ckgeben,? fuhr der Vorsitzende fort, ?und haben ihm seitdem Ihrerseits zuweilen Geld geborgt??
?Das ist ja gar nicht der Rede wert,? sagte Verzielli, Kopf und Hand sch��ttelnd, ?wo ich ihm meine ganze Existenz verdanke. ��brigens hat er mich nie um Geld gebeten, ich habe es ihm aufgedr?ngt. Er verstand ja nicht mit Geld umzugehen, er war zu gut und zu edel dazu.?
?Hat er Ihnen jemals Geld zur��ckgezahlt??
?O ja,? rief Verzielli stolz, ?auch in bezug auf das R��ckst?ndige fragte er mich ?fters, ob ich es brauche. Aber wozu h?tte ich es brauchen sollen? Es war ja ebenso sicher bei ihm wie auf der Bank. Ich sagte ihm immer, es sei noch Zeit, wenn er es einmal meinen Kindern wiederg?be. Meine Frau war auch der Meinung, man d��rfe ihn nicht dr?ngen.?
?Hat der Angeklagte Sie zuweilen mit Hinblick auf etwaige Schenkungen oder eine etwaige Erbschaft von seiten seiner geschiedenen Frau vertr?stet??
?Zu vertr?sten brauchte er mich nicht,? sagte Verzielli ein wenig gereizt. ?Aber nat��rlich hat er zuweilen von seiner geschiedenen Frau und seinem verstorbenen Kinde gesprochen. Er hat das arme Kind sehr geliebt. Meine Frau und ich haben oft geweint, wenn er davon sprach.?
Er zog bei diesen Worten ein gro?es, buntes Taschentuch hervor und fuhr sich damit ��ber Stirn und Augen, sei es um sich Tr?nen oder Schwei? damit zu trocknen.
?Ich bitte Sie,? sagte =Dr.= Zeunemann freundlich, ?genau auf meine Fragen zu achten und sie kurz und deutlich zu beantworten. Hat der Angeklagte Ihnen zuweilen von einer Aussicht gesprochen, Geld von seiner geschiedenen Frau zu erhalten, sei es bei ihren Lebzeiten oder nach ihrem Tode??
?Ich glaube,? sagte Verzielli, sein Taschentuch quetschend, ?er sagte gelegentlich einmal, seine geschiedene Frau sei reich, und er sei ��berzeugt, sie w��rde ihm geben, was er brauchte, wenn er sie darum b?te.?
?Erinnern Sie sich, wann er Ihnen das gesagt hat??
?Ich glaube,? sagte Verzielli, ?da? es in der letzten Zeit nicht gewesen ist.?
?Wir kommen
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