Der Bär | Page 4

Anton Tschechow
bös ich bin! So bös, daß ich, scheint mir,
die ganze Welt zu Staub zermalmen möchte... Sogar übel wird mir...
(Er ruft.) Diener!

Achter Auftritt.
=Frau Popow.= =Smirnow.=
=Frau Popow= (kommt mit gesenkten Augen). Geehrter Herr, ich habe
mich in meiner Einsamkeit völlig der Menschenstimmen entwöhnt und
kann Geschrei nicht ertragen. Ich bitte Sie dringend, stören Sie meine
Ruhe nicht!
=Smirnow.= Zahlen Sie mir mein Geld und ich reise ab.
=Frau Popow.= Ich sagte Ihnen bereits in Ihrer Muttersprache: ich habe
das Geld jetzt nicht zur Verfügung, warten Sie bis übermorgen.
=Smirnow.= Auch ich hatte die Ehre, Ihnen in Ihrer Muttersprache
mitzuteilen, daß ich das Geld nicht übermorgen, sondern heute brauche.
Wenn Sie mir heute nicht zahlen, muß ich mich morgen aufhängen...
=Frau Popow.= Was soll ich aber tun, wenn ich das Geld nicht habe?

Wie sonderbar!
=Smirnow.= Sie zahlen also nicht sofort? Nicht?
=Frau Popow.= Ich kann nicht...
=Smirnow.= Dann bleibe ich hier und werde so lange sitzen, bis ich das
Geld bekomme. (Er setzt sich.) Sie werden übermorgen zahlen?
Ausgezeichnet! So bleibe ich bis übermorgen. (Springt auf.) Ich frage
Sie, muß ich morgen die Zinsen zahlen oder nicht?... Oder glauben Sie,
ich scherze?
=Frau Popow.= Geehrter Herr, ich bitte Sie, nicht zu schreien! Hier ist
kein Stall!
=Smirnow.= Ich frage Sie nicht nach dem Stall, sondern danach, ob ich
morgen die Zinsen erlegen muß oder nicht?
=Frau Popow.= Sie wissen nicht, wie man sich einer Dame gegenüber
beträgt.
=Smirnow.= O doch, ich weiß, mich mit Damen zu benehmen.
=Frau Popow.= Nein, Sie wissen es nicht. Sie sind ein ungezogener,
grober Mensch. Anständige Leute sprechen nicht so mit Damen!
=Smirnow.= Ach, wie merkwürdig! Wie befehlen Sie denn mit Ihnen
zu sprechen? Etwa französisch? (Boshaft lispelnd.) Madame, je vous
prie ... wie glücklich bin ich, daß Sie mir das Geld nicht bezahlen...
Pardon, daß ich Sie gestört habe! Welch herrliches Wetter wir heute
haben! Und wie gut Ihnen diese Trauerkleider stehen! (Er macht
Kratzfüße.)
=Frau Popow.= Gar nicht witzig, aber grob!
=Smirnow= (nachahmend). Nicht witzig, aber grob! Ich weiß mich
nicht in Damengesellschaft zu betragen! Meine Gnädigste, ich habe in
meinem Leben viel mehr Frauen gesehen als Sie Sperlinge! Dreimal
habe ich mich der Frauen wegen duelliert, zwölf Frauen habe ich sitzen

lassen, neun haben mich sitzen lassen! Jawohl! Es gab eine Zeit, wo ich
den Narren spielte, Honigworte lispelte, Kratzfüße, Komplimente
machte... Ich liebte, litt, seufzte den Mond an, zerfloß in Liebesqualen.
Ich liebte leidenschaftlich, ich liebte bis zur Raserei, in allen Tonarten,
ich schnatterte wie eine Elster über die Emanzipation, vergeudete
infolge dieser zarten Gefühle das halbe Vermögen, aber jetzt, hol' mich
der Teufel, ist es genug! Gehorsamster Diener, jetzt lasse ich mich
nicht mehr von Euch an der Nase herumführen. Genug! »Schwarze
Augen, leidenschaftliche Augen, Korallenlippen, Grübchen in den
Wangen, Mondenschein, Flüstern, leises, schüchternes Atmen« -- für
das alles, meine Gnädige, gebe ich heute auch nicht einen
Kupfergroschen! Ich spreche nicht von den Anwesenden, aber alle
Frauen, von der kleinsten bis zur größten, sind aufgeblasen,
heuchlerisch, klatschsüchtig, gehässig, verlogen vom Wirbel bis zur
Zehe; eitel, kleinlich, grausam, von einer empörenden Logik und was
das (er schlägt sich auf die Stirn) betrifft, so, verzeihen Sie mir die
Aufrichtigkeit, kann ein Sperling einem x-beliebigen Philosophen im
Unterrock zehn vorgeben! Sieht man ein solch poetisches Geschöpf vor
sich, so glaubt man, ein ätherisches, göttliches Wesen zu erblicken, so
wunderschön, ein Hauch und man zerfließt in tausend Entzückungen
und Wonnen -- sieht man aber in die Seele -- so ist es ein gewöhnliches
Krokodil! (Er greift eine Stuhllehne, der Stuhl kracht und bricht
entzwei.) Das Empörendste ist aber, daß dieses Krokodil sich einbildet,
es sei ein Chef-d'oeuvre, die zarten Gefühle seien sein alleiniges
Monopol. Der Teufel hol's, hängen Sie mich da an diesem Nagel mit
den Füßen nach oben auf, wenn die Frau außer ihrem Seidenpinsch
jemand lieben kann. Wenn sie liebt, versteht sie bloß, zu jammern oder
Tränen zu vergießen. Wo der Mann leidet und Opfer bringt, dort äußert
sich ihre ganze Liebe darin, daß sie mit der Schleppe hin und her dreht
und den Mann an der Nase herumführen will. Sie haben das Unglück,
eine Frau zu sein, Sie werden daher die Frauennatur kennen, sagen Sie
mir auf Ehr' und Gewissen: haben Sie in Ihrem Leben schon eine Frau
gesehen, die aufrichtig, treu und beständig gewesen wäre? Sie haben
sie nicht gesehen! Treu und beständig sind einzig und allein die Alten
und die Mißgestalteten. Sie werden eher einer gehörnten Katze oder
einer weißen Waldschnepfe begegnen als einer treuen Frau!

=Frau Popow.= Aber erlauben Sie mir, wer ist denn nach Ihrer
Meinung treu und beständig in der Liebe? Etwa der Mann?
=Smirnow.= Jawohl! Der Mann!
=Frau Popow.= Der Mann! (Sie lacht ironisch.) Der Mann ist treu und
beständig in der Liebe! Das ist aber etwas ganz Neues. (Bitter.) Mit
welchem Recht behaupten
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