Der Arme Spielmann | Page 3

Franz Grillparzer
so wie es auch die Heiterkeit des vorüberwogenden Haufens
erregte, der ihn auslachte und den zum Sammeln hingestellten Hut des
alten Mannes leer ließ, indes das übrige Orchester ganze Kupferminen
einsackte. Ich war, um das Original ungestört zu betrachten, in einiger
Entfernung auf den Seitenabhang des Dammes getreten. Er spielte noch
eine Weile fort. Endlich hielt er ein, blickte, wie aus einer langen
Abwesenheit zu sich gekommen, nach dem Firmament, das schon die
Spuren des nahenden Abends zu zeigen anfing, darauf abwärts in
seinen Hut, fand ihn leer, setzte ihn mit ungetrübter Heiterkeit auf,
steckte den Geigenbogen zwischen die Saiten; "Sunt certi denique
fines", sagte er, ergriff sein Notenpult und arbeitete sich mühsam durch
die dem Feste zuströmende Menge in entgegengesetzter Richtung, als
einer, der heimkehrt.
Das ganze Wesen des alten Mannes war eigentlich wie gemacht, um
meinen anthropologischen Heißhunger aufs äußerste zu reizen. Die
dürftige und doch edle Gestalt, seine unbesiegbare Heiterkeit, so viel
Kunsteifer bei so viel Unbeholfenheit; daß er gerade zu einer Zeit
heimkehrte, wo für andere seinesgleichen erst die eigentliche Ernte
anging; endlich die wenigen, aber mit der richtigsten Betonung, mit

völliger Geläufigkeit gesprochenen lateinischen Worte. Der Mann hatte
also eine sorgfältigere Erziehung genossen, sich Kenntnisse eigen
gemacht, und nun--ein Bettelmusikant! Ich zitterte vor Begierde nach
dem Zusammenhange.
Aber schon befand sich ein dichter Menschenwall zwischen mir und
ihm. Klein, wie er war, und durch das Notenpult in seiner Hand nach
allen Seiten hin störend, schob ihn einer dem andern zu, und schon
hatte ihn das Ausgangsgitter aufgenommen, indes ich noch in der Mitte
des Dammes mit der entgegenströmenden Menschenwoge kämpfte. So
entschwand er mir, und als ich endlich selbst ins ruhige Freie gelangte,
war nach allen Seiten weit und breit kein Spielmann mehr zu sehen.
Das verfehlte Abenteuer hatte mir die Lust an dem Volksfest
genommen. Ich durchstrich den Augarten nach allen Richtungen und
beschloß endlich, nach Hause zu kehren.
In die Nähe des kleinen Türchens gekommen, das aus dem Augarten
nach der Taborstraße führt, hörte ich plötzlich den bekannten Ton der
alten Violine wieder. Ich verdoppelte meine Schritte, und siehe da! der
Gegenstand meiner Neugier stand, aus Leibeskräften spielend, im
Kreise einiger Knaben, die ungeduldig einen Walzer von ihm
verlangten. "Einen Walzer spiel!" riefen sie; "einen Walzer, hörst du
nicht?" Der Alte geigte fort, scheinbar ohne auf sie zu achten, bis ihn
die kleine Zuhörerschar schmähend und spottend verließ, sich um einen
Leiermann sammelnd, der seine Drehorgel in der Nähe aufgestellt
hatte.
"Sie wollen nicht tanzen", sagte wie betrübt der alte Mann, sein
Musikgeräte zusammenlegend. Ich war ganz nahe zu ihm getreten.
"Die Kinder kennen eben keinen andern Tanz als den Walzer", sagte
ich. "Ich spielte einen Walzer", versetzte er, mit dem Geigenbogen den
Ort des soeben gespielten Stückes auf seinem Notenblatte bezeichnend.
"Man muß derlei auch führen, der Menge wegen. Aber die Kinder
haben kein Ohr", sagte er, indem er wehmütig den Kopf
schüttelte.--"Lassen Sie mich wenigstens ihren Undank wieder
gutmachen", sprach ich, ein Silberstück aus der Tasche ziehend und
ihm hinreichend.--"Bitte! bitte!" rief der alte Mann, wobei er mit
beiden Händen ängstlich abwehrende Bewegungen machte, "in den Hut!
in den Hut!"--Ich legte das Geldstück in den vor ihm stehenden Hut,
aus dem es unmittelbar darauf der Alte herausnahm und ganz zufrieden

einsteckte, "das heißt einmal mit reichem Gewinn nach Hause gehen",
sagte er schmunzelnd.--"Eben recht", sprach ich, "erinnern Sie mich auf
einen Umstand, der schon früher meine Neugier rege machte! Ihre
heutige Einnahme scheint nicht die beste gewesen zu sein, und doch
entfernen Sie sich in einem Augenblicke, wo eben die eigentliche Ernte
angeht. Das Fest dauert, wissen Sie wohl, die ganze Nacht, und Sie
könnten da leicht mehr gewinnen als an acht gewöhnlichen Tagen. Wie
soll ich mir das erklären?"
"Wie Sie sich das erklären sollen", versetzte der Alte. "Verzeihen Sie,
ich weiß nicht, wer Sie sind, aber Sie müssen ein wohltätiger Herr sein
und ein Freund der Musik", dabei zog er das Silberstück noch einmal
aus der Tasche und drückte es zwischen seine gegen die Brust
gehobenen Hände. "Ich will Ihnen daher nur die Ursachen angeben,
obgleich ich oft deshalb verlacht worden bin. Erstens war ich nie ein
Nachtschwärmer und halte es auch nicht für recht, andere durch Spiel
und Gesang zu einem solchen widerlichen Vergehen anzureizen;
zweitens muß sich der Mensch in allen Dingen eine gewisse Ordnung
festsetzen, sonst gerät er ins Wilde und Unaufhaltsame. Drittens
endlich--Herr! ich spiele den ganzen Tag für die lärmenden Leute und
gewinne kaum kärglich Brot dabei; aber der Abend gehört mir und
meiner armen Kunst.
Abends halte ich mich zu Hause, und"--dabei ward seine Rede immer
leiser, Röte überzog sein Gesicht, sein Auge suchte den Boden--"da
spiele ich denn aus der Einbildung, so für mich ohne Noten.
Phantasieren, glaub ich, heißt es in den Musikbüchern."
Wir waren beide ganz stille geworden. Er, aus Beschämung über
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