Der Arme Spielmann | Page 4

Franz Grillparzer
das
verratene Geheimnis seines Innern; ich, voll Erstaunen, den Mann von
den höchsten Stufen der Kunst sprechen zu hören, der nicht imstande
war, den leichtesten Walzer faßbar wiederzugeben. Er bereitete sich
indes zum Fortgehen. "Wo wohnen Sie?" sagte ich. "Ich möchte wohl
einmal Ihren einsamen Übungen beiwohnen."--"Oh", versetzte er fast
flehend, "Sie wissen wohl, das Gebet gehört ins Kämmerlein."--"So
will ich Sie denn einmal am Tage besuchen", sagte ich.--"Den Tag
über", erwiderte er, "gehe ich meinem Unterhalt bei den Leuten
nach."--"Also des Morgens denn."--"Sieht es doch beinahe aus", sagte
der Alte lächelnd, "als ob Sie, verehrter Herr, der Beschenkte wären
und ich, wenn es mir erlaubt ist zu sagen, der Wohltäter; so freundlich

sind Sie, und so widerwärtig ziehe ich mich zurück. Ihr vornehmer
Besuch wird meiner Wohnung immer eine Ehre sein; nur bäte ich, daß
Sie den Tag Ihrer Dahinkunft mir großgünstig im voraus bestimmten,
damit weder Sie durch Ungehörigkeit aufgehalten, noch ich genötigt
werde, ein zur Zeit etwa begonnenes Geschäft unziemlich zu
unterbrechen. Mein Morgen nämlich hat auch seine Bestimmung. Ich
halte es jedenfalls für meine Pflicht, meinen Gönnern und Wohltätern
für ihr Geschenk eine nicht ganz unwürdige Gegengabe darzureichen.
Ich will kein Bettler sein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, daß die
übrigen öffentlichen Musikleute sich damit begnügen, einige
auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodien
von unartigen Liedern, immer wieder von denselben anfangend, fort
und fort herabzuspielen, so daß man ihnen gibt, um ihrer loszuwerden,
oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst
unordentlicher Ergötzlichkeiten wieder lebendig macht. Daher spielen
sie auch aus dem Gedächtnis und greifen falsch mitunter, ja häufig.
Von mir aber sei fern zu betrügen. Ich habe deshalb, teils weil mein
Gedächtnis überhaupt nicht das beste ist, teils weil es für jeden
schwierig sein dürfte, verwickelte Zusammensetzungen geachteter
Musikverfasser Note für Note bei sich zu behalten, diese Hefte mir
selbst ins reine geschrieben." Er zeigte dabei durchblätternd auf sein
Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen mit sorgfältiger, aber
widerlich steifer Schrift ungeheuer schwierige Kompositionen alter
berühmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen,
erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken
Fingern! "Indem ich nun diese Stücke spiele", fuhr er fort, "bezeige ich
meine Verehrung den nach Stand und Würden geachteten, längst nicht
mehr lebenden Meistern und Verfassern, tue mir selbst genug und lebe
der angenehmen Hoffnung, daß die mir mildest gereichte Gabe nicht
ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der
ohnehin von so vielen Seiten gestörten und irregeleiteten Zuhörerschaft.
Da derlei aber, auf daß ich bei meiner Rede bleibe"--und dabei überzog
ein selbstgefälliges Lächeln seine Züge--, "da derlei aber eingeübt sein
will, sind meine Morgenstunden ausschließend diesem Exercitium
bestimmt. Die drei ersten Stunden des Tages der Übung, die Mitte dem
Broterwerb, und der Abend mir und dem lieben Gott, das heißt nicht
unehrlich geteilt", sagt er, und dabei glänzten seine Augen wie feucht;

er lächelte aber.
"Gut denn", sagte ich, "so werde ich Sie einmal morgens überraschen.
Wo wohnen Sie?" Er nannte mir die Gärtnergasse.
--"Hausnummer?"--"Nummer 34 im ersten Stocke."--"In der Tat", rief
ich, "im Stockwerke der Vornehmen?"--"Das Haus", sagte er, "hat zwar
eigentlich nur ein Erdgeschoß; es ist aber oben neben der
Bodenkammer noch ein kleines Zimmer, das bewohne ich
gemeinschaftlich mit zwei Handwerksgesellen."--"Ein Zimmer zu
dreien?"--"Es ist abgeteilt", sagte er, "und ich habe mein eigenes
Bette."
"Es wird spät" sprach ich, "und Sie wollen nach Hause. Auf
Wiedersehen denn!" und dabei fuhr ich in die Tasche, um das früher
gereichte gar zu kleine Geldgeschenk allenfalls zu verdoppeln. Er aber
hatte mit der einen Hand das Notenpult, mit der andern seine Violine
angefaßt und rief hastig: "Was ich devotest verbitten muß. Das
Honorarium für mein Spiel ist mir bereits in Fülle zuteil geworden,
eines andern Verdienstes aber bin ich mir zur Zeit nicht bewußt." Dabei
machte er mir mit einer Abart vornehmer Leichtigkeit einen ziemlich
linkischen Kratzfuß und entfernte sich, so schnell ihn seine alten Beine
trugen.
Ich hatte, wie gesagt, die Lust verloren, dem Volksfeste für diesen Tag
länger beizuwohnen, ich ging daher heimwärts, den Weg nach der
Leopoldstadt einschlagend, und, von Staub und Hitze erschöpft, trat ich
in einen der dortigen vielen Wirtsgärten, die, an gewöhnlichen Tagen
überfüllt, heute ihre ganze Kundschaft der Brigittenau abgegeben
hatten. Die Stille des Ortes, im Abstich der lärmenden Volksmenge, tat
mir wohl, und mich verschiedenen Gedanken überlassend, an denen der
alte Spielmann nicht den letzten Anteil hatte, war es völlig Nacht
geworden, als ich endlich des Nachhausegehens gedachte, den Betrag
meiner Rechnung auf den Tisch legte und der Stadt zuschritt.
In der Gärtnergasse, hatte der alte Mann gesagt, wohne er. "Ist hier in
der Nähe eine Gärtnergasse?" fragte ich einen kleinen Jungen, der über
den Weg lief. "Dort, Herr!" versetzte er, indem er auf eine Querstraße
hinwies, die, von der Häusermasse der Vorstadt sich entfernend, gegen
das
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