Herz nicht so schmerzlich geschlagen hätte! Das tat es
seit der Krankheit immer, wenn er erregt war. Und jetzt hatte es doch
wirklich keine Ursache dazu! sagte sich Leon, als er allein war. Die
Kinderträume paßten doch wahrhaftig nicht mehr in sein gelehrtes
Haupt. Ob sie wohl noch der Wochen in der Meierei gedenken möchte!
Und er sah Berta neben seiner Mutter stehen, als er damals ins Kloster
gefahren war, und er sah ihr nachdenkliches Kindergesicht ihm
zuwinken. Da kam aber auch schon der Pförtner und führte ihn ins
Schloß, wo ihn die junge Gräfin erwarte.
* * * * *
Sie trat ihm an der Schwelle des großen Zimmers entgegen, darin sonst
ihr Vater seine Geschäfte zu erledigen pflegte. Es war dunkel auf dem
Gange und er konnte im ersten Augenblicke, nachdem er sich tief
verneigt hatte, ihr Gesicht nicht sehen; wohl aber sah er gegen die Helle
des Zimmers eine große Mädchengestalt und hörte eine holde Stimme:
»Tretet ein zu mir, Ritter Leon!«, die ihm wie ein Orgelton durch die
Seele ging. Und nun er hinter ihr in den hohen Saal eintrat, umfing sein
Blick verwundert und ungläubig ihre schlanke, edle Gestalt, und er
errötete, da sie sich ihm zuwendete und er ihres Busens sanfte Wölbung
streifte, weil es ihm ein Wunder schien, daß die Jungfrau das Kind von
damals sein sollte. Und ihm ward bang und weh bei diesem Gedanken.
Dann standen sie einander gegenüber und sahen einander an. Er
stammelte einige verlorene Worte von Dankbarkeit, von Schuld und
Pflicht, bis sie ihm die Hände entgegenstreckte und ihn herzlich
begrüßte. Sie erinnerte sich seiner so gut aus jener Kinderzeit, wenn er
freilich indessen auch ein Gelehrter geworden sei, der an ernstere
Dinge denken müsse als an jene Kindertage. Sie sagte dies alles mit
ihrer dunklen Stimme und so vollendet und überlegen, daß Leon,
verwirrt und erstaunt, seiner Worte nicht mächtig war und endlich mit
wärmerer Betonung, als der Sitte entsprechen mochte, erzählte, wie oft
er jener Zeit gedacht und wie er bei jedem: Ave Maria, Mutter ...., aber
da stockte er, denn er hatte sagen wollen, daß er bei seiner Rückkehr
ins Kloster damals als Knabe sich vorgenommen habe, beim Worte
'Mutter' im Vaterunser immer an Bertas Mutter zu denken, und daß er
diese Sitte dann schon aus Gewohnheit beibehalten habe. Nun erschrak
er, da ihm dies Geständnis entfliehen wollte, er wurde rot und sein Herz
fing wiederum zu zerren an, daß er tief atmen mußte, um es zu
meistern.
Gräfin Berta hatte ihn rot und bleich werden sehen, und, fast ohne daß
sie es wußte, trat sie ganz nahe an Leon heran und fragte ihn, ob er
auch immer wohl gewesen sei und wie es Mutter und Vater ergehe, und
ob die liebe Frau Anna noch so munter sei. Da konnte er denn viel und
freudig berichten, wenngleich es ihn bedrängte, daß er nicht nach
Bertas Mutter im Turme oben fragen solle.
Und dann sagte er unvermittelt: »Ich will mir jetzt von Eurem gnädigen
Herrn Vater die Erlaubnis erbitten, nach Italien an die hohe Schule zu
gehen, die Geheimnisse der Medizin zu erfahren und ein Arzt zu
werden.«
»Wie Ihr Euch schon damals vorgenommen habt,« sagte Berta. Dann
schwiegen sie eine Weile still, plötzlich füllten schwere Tränen Bertas
Augen und mit zuckenden Lippen sprach sie: »Ich danke Euch!«
Und als ob die Tränen auch gleich ihr ganzes Leid vor ihre Seele
brächten, fuhr sie fort: »Leon, Ihr wißt ja nicht, wie unglücklich ich
bin!«
»Gräfin Berta, liebe, liebe Berta, Ihr unglücklich?! Und ich denke Euch
in Stolz und Glück! Was quält euch, Berta, liebe Gräfin Berta, sagt mir,
was macht Euch unglücklich?«
Leon schien es, als ob Berta wanke, und er fing die Bebende auf:
»Wenn ich Euch helfen könnte! Meine arme, liebe ...«
Da richtete sie sich empor, ihre Augen waren voll Angst und sahen
hilflos und hilfesuchend in die Augen Leons: »Wer könnte mir helfen!
Ich schreie nach Mitleid, nach ein wenig Mitleid und Güte und man
gibt mir kaltes Geschmeide und leere Worte und Kleider. Ich bin
unglücklich!« Und die Augen mit den Händen bedeckend:
»Unglücklich!«
Und da verschwanden zwischen ihren eng aneinander gedrängten
Körpern wie in einer Versenkung die Jahre, seit sie einander nicht
gesehen hatten, und das Kind Berta lehnte wieder an der Brust des
Knaben Leon, sie fühlten, daß sie aufeinander all die Jahre gewartet
hatten. Und er sprach in ihr abenddunkles Haar, das seine Lippen
berührten, immer die gleichen Worte des Mitleids: »O du mein armes,
liebes Liebes!«
Sie kämpfte mit den Tränen, die sie erschütterten, und suchte ein Wort
und konnte keines finden, das ihre Lippen erschlossen hätte, so fest
drückte das Leid sie aufeinander, und endlich hatte sie das Wort
gefunden und schrie es aus ihrer Seele empor: »Mitleid! Nur ein
Tränentröpflein Mitleid!«
Da führte er die Erregte zu
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.