Das blaue Fenster | Page 7

Hugo Salus
dem breiten Stuhle, wohl des Grafen Sitz,
wenn er die Verwalter oder Bauern verhörte, und ließ sie sanft
niedergleiten. Er kniete zu ihr nieder und sprach still und mild auf sie
ein. Und sprach so still und sanft, daß sie plötzlich die Stimme seiner
Mutter nach langen Jahren hörte und daß ihr Herz sich beruhigte.
»Wann wollt Ihr mir Euer Leid vertrauen, daß ich über Eure Rettung
sinne?« fragte er. »Wann kann ich Euch wiedersehen?«
»Morgen, bei der Mutter Turm, beim Abendglockenläuten!« sagte sie.
Und dann erhoben sie sich, sie standen einander gegenüber Hand in
Hand und ihre Augen ruhten lange ineinander. Sie sagten nichts als ihre
Namen und wußten doch, daß sie einander alles, alles gesagt hatten......
Und Leon war es, als er dann allein in dem Saale auf den Grafen
wartete, als ob die Wände ihm immer noch die Worte Berta und Leon
zuriefen, und er hatte keinen andern Gedanken und hörte entzückt auf
diese einfache Melodie.
Dann sprach er mit dem Grafen nicht mehr als der schüchterne
Scholare, er sprach offen und frei mit ihm als ein Ritter, und der Graf
verhieß ihm auch fürder Schutz und Unterstützung.

Das Rößlein aber wunderte sich, als Leon in den Abend hinein heimritt,
wie sich der Ritter so verändert hatte. Und wenn es auch nicht verstand,
was er mit den Worten 'mein Rößlein in Pelzstiefeln!' meinte, so mußte
es doch etwas Liebes sein, denn dann streichelte der Ritter ihm gar
zärtlich den Hals. Und seine Glöcklein klangen hell durch die Stille.
* * * * *
Als Leon nachts heimgekommen war, da war sein Herz so voll
Hoffnung, weil das holde, schlanke Mädchen sich ihm so warm
vertraut hatte, daß der jugendliche Stolz über den Empfang ihrer Liebe
ihn fast jubeln machte. Aber langsam fiel, Tropfen auf Tropfen, Leid in
seinen Becher, Leid über das unbekannte Geschick seiner Herrin, Leid,
das seine Seele erzittern ließ, innigstes Mitleid mit der Geliebten, daß
er die Stunde des Wiedersehens nicht so sehr aus Sehnsucht nach dem
Angesicht seiner Erwählten herbeiwünschte, als aus dem Verlangen, ihr
Gutes zu sagen, ihre Hände zu streicheln und ihres Leides Ursache zu
erfahren, um ihr beizustehen. Denn der Mutter Siechtum allein konnte
es jetzt wohl nimmer sein, was sie so schmerzlich erregte.
Nachmittag klomm denn sein Pferd den steilen Weg zum runden Turm
hinan, der über die Tannen emporragte. Dann schwang sich Leon aus
dem Sattel, wand die Zügel um einen Stamm und schaute zum Turm
empor, der auf dem Gipfel des Berges Wache stand und weit ins Land
hinausblickte.
»Wie viel Elend du birgst,« sagte Leon halblaut vor sich hin, »Elend
für deine Bewohnerin und tieferes Leid für das arme Mädchen, das so
würdig wäre, glücklich zu sein und ihre schönen Augen von deiner
Höhe über ihres Vaters Land schweifen zu lassen.«
Dann trat er zwischen den Bäumen hervor und setzte sich auf die
Steinbank, die, aus seinen Quadern gebildet, den Turm umgriff und mit
Moos überwachsen war. Dort unten sah er das weiße Schloß und in
jenem Tale drüben mußte seiner Eltern Haus stehen; aber er konnte es
nicht finden. Und von fernher schwang sich der Abendglocke Klang
über die Wipfel, daß er fromm seine Hände faltete. Und als er »Ave
Maria, Mutter ....« sagte, da hörte er den Huftritt eines Pferdes, er stand

auf und half Berta aus dem Sattel.
»Bist du so allein durch den Forst geritten?« fragte er besorgt. Und sie
fühlten gar nicht, daß sie einander von jetzt ab wieder du sagten; so
innig hatten beide seit ihrem Wiedersehen aneinander gedacht und so
ununterbrochen im Herzen zueinander gesprochen.
»Wen sollte ich fürchten? Wer viel innerlich Leids erlebt, lacht der
sichtbaren Gefahren!« Und als fühlte sie den Wert jedes Augenblickes,
als fahre sie in einer oft durchdachten Rede zu sprechen fort, warf sie
sich jetzt leidenschaftlich an Leons Brust, sie dämpfte den Laut ihrer
Stimme nicht, sie loderte ihm züngelnd entgegen: »Meine Mutter ist
mir mehr als gestorben, wenn sie auch da oben im Turmgemache atmet!
Und mein Vater, höre, Leon, mein Vater haßt mich, ich bin ihm zu viel,
ich hindere ihn, wenn er sich auch durch mich wenig hindern läßt. Du
guter Leon, wenn du wüßtest, wie unendlich viel Schmach und
Schimpf ich dulden muß, wie oft ich mich in meiner Mutter früheres
Krankengemach flüchte vor den Blicken der, der ..« ihr Mund sträubte
sich, das Wort zu sagen -- »der Schamlosen, die mir den Vater geraubt
hat, die im Tore stand an seiner Seite, da ich mit meiner Sehnsucht im
Herzen aus dem Stifte heimkehrte, die von meiner Mutter in Worten
spricht, daß ich vor Leid vergehen möchte, indes der Vater seinen
Humpen schwingt und ihr zulacht! Leon, ich ziehe mit dir, ich ziehe
mit dir, wohin es auch sei, wie könnte ich denn jetzt allein hier weiter
leben!«
Sie schwieg erschöpft
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