Das Leiden eines Knaben | Page 8

Conrad Ferdinand Meyer
Nicht nur jedes Entgegenkommen, sondern auch jede gerechte Ber��cksichtigung hatten f��r Julian aufgeh?rt. Das Kind litt. T?glich und st��ndlich f��hlte es sich gedem��tigt, nicht durch lauten Tadel, am wenigsten durch Scheltworte, welche nicht im Gebrauche der V?ter sind, sondern fein und sachlich, einfach dadurch, dass sie die Armut des Blondkopfes nicht l?nger freundlich unterst��tzten und die geistige D��rftigkeit nach verweigertem Almosen besch?mt in ihrer Bl?sse dastehen liessen. Jetzt begann das Kind, von einem verzweifelnden Ehrgeiz gestachelt, seine Wachen zu verl?ngern, seinen Schlummer gewaltt?tig abzuk��rzen, sein Gehirn zu martern, seine Gesundheit zu untergraben--ich mag davon nicht reden, es bringt mich auf..."
Fagon machte eine Pause und sch?pfte Atem.
Der K?nig f��llte dieselbe, indem er ruhig bemerkte: "Ich frage mich, Fagon, wieviel Wirklichkeit alles dieses hat. Ich meine diese stille Verschw?rung gelehrter und verst?ndiger M?nner zum Schaden eines Kindes und dieser br��tende Hass einer ganzen Gesellschaft gegen einen im Grunde ihr so ungef?hrlichen Mann, wie der Marschall ist, der sie ja ��berdies ganz ritterlich behandelt hatte. Du siehst Gespenster, Fagon. Du bist hier Partei und hast vielleicht, wer weiss, gegen den verdienten Orden neben deinem ererbten Vorurteil noch irgendeine pers?nliche Feindschaft."
"Wer weiss?" stammelte Fagon. Er hatte sich entf?rbt, soweit er noch erblassen konnte, und seine Augen loderten. Die Marquise wurde ?ngstlich und ber��hrte heimlich den Arm ihres Sch��tzlings, ohne dass er die warnende Hand gef��hlt h?tte. Frau von Maintenon wusste, dass der heftige Alte, wenn er gereizt wurde, g?nzlich ausser sich geriet und unglaubliche Worte wagte, selbst dem K?nige gegen��ber, welcher freilich dem langj?hrigen und tiefen Kenner seiner Leiblichkeit nachsah, was er keinem andern so leicht vergeben h?tte. Fagon zitterte. Er stotterte unzusammenh?ngende S?tze, und seine Worte st��rzten durcheinander, wie Krieger zu den Waffen.
"Du glaubst es nicht, Majest?t, Kenner der Menschenherzen, du glaubst es nicht, dass die V?ter Jesuiten jeden, der sie wissentlich oder unwissentlich beleidigt, hassen bis zur Vernichtung? Du glaubst nicht, dass diese V?ter weder wahr noch falsch, weder gut noch b?se kennen, sondern nur ihre Gesellschaft?" Fagon schlug eine grimmige Lache auf. "Du willst es nicht glauben, Majest?t!
Sage mir, K?nig, du Kenner der Wirklichkeit," raste Fagon abspringend weiter, "da die Rede ist von der Glaubw��rdigkeit der Dinge, kannst du auch nicht glauben, dass in deinem Reiche bei der Bekehrung der Protestanten Gewalt angewendet wird?"
"Diese Frage", erwiderte der K?nig sehr ernsthaft, "ist die erste deiner heutigen drei Freiheiten. Ich beantworte sie. Nein, Fagon. Es wird, verschwindend wenige F?lle ausgenommen, bei diesen Bekehrungen keine Gewalt angewendet, weil ich es ein f��r allemal ausdr��cklich untersagt habe und weil meinen Befehlen nachgelebt wird. Man zwingt die Gewissen nicht. Die wahre Religion siegt gegenw?rtig in Frankreich ��ber Hunderttausende durch ihre innere ��berzeugungskraft."
"Durch die Predigten des P��re Bourdaloue!" h?hnte Fagon mit gellender Stimme. Dann schwieg er. Entsetzen starrte aus seinen Augen ��ber diesen Gipfel der Verblendung, diese Mauer des Vorurteils, diese g?nzliche Vernichtung der Wahrheit. Er betrachtete den K?nig und sein Weib eine Weile mit heimlichem Grauen.
"Sire, meine nicht", fuhr er fort, "dass ich Partei bin und das Blut meiner protestantischen Vorfahren aus mir spreche. Ich bin von einer ehrw��rdigen Kirche abgefallen. Warum? Weil ich, Gott vorbehalten, von dem ich nicht lasse und der in meinen alten Tagen mich nicht verlassen m?ge, ��ber Religionen und Konfessionen samt und sonders denke, wie jener lucrezische Vers... "
Weder der K?nig noch Frau von Maintenon wussten von diesem Verse, aber sie konnten vermuten, Fagon meine nichts Frommes.
"Kennt Ihr den Tod meines Vaters, Sire?" fl��sterte Fagon. "Er ist ein Geheimnis geblieben, aber Euch will ich es anvertrauen. Er war ein sanfter Mann und n?hrte sich, sein Weib und seine Kinder, deren letztes und sechstes ich Verwachsener war, in Auxerre von dem Verkaufe seiner Latwergen redlich und k��mmerlich; denn Auxerre hat eine gesunde Luft und ein Schock Apotheken. Die glaubenseifrigen Einwohner, die meinen Vater liebten, wollten ihm alles Gute und h?tten ihn gern der Kirche zur��ckgegeben, aber nicht mit Gewalt, denn Ihr habet es gesagt, Sire, man zwingt die Gewissen nicht. Also verbr��derten sie sich, die calvinistische Apotheke zu meiden. Mein Vater verlor sein Brot, und wir hungerten. Die V?ter Jesuiten taten dabei, wie ��berall, das Beste. Da wurde sein Gewissen in sich selbst uneins. Er schwur ab. Weil aber die scharfen calvinistischen S?tze ein Gehirn, dem sie in seiner Kindheit eingegraben wurden, nicht so leicht wieder verlassen, erschien sich der ?rmste bald als ein Judas, der den Herrn verriet, und er ging hin wie jener und tat desgleichen."
"Fagon", sagte der K?nig mit W��rde, "du hast den armen P��re Tellier wegen einer geschmacklosen Rede ��ber seinen Vater beschimpft und redest selber so nackt und grausam von dem deinigen. Unselige Dinge verlangen einen Schleier!"
"Sire", erwiderte der Arzt, "Ihr habet recht und seid f��r mich wie f��r jeden Franzosen das Gesetz in Dingen des Anstandes. Freilich kann man sich von gewissen Stimmungen hinreissen lassen, in dieser Welt der Unwahrheit und ihr zum Trotz von einer
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