Das Leiden eines Knaben | Page 9

Conrad Ferdinand Meyer
blutigen Tatsache, und w?re es die schmerzlichste, das verh��llende Tuch unversehens wegzuziehen...
Aber, Sire, wie vorzeitig habe ich die erste meiner Freiheiten verbraucht, und wahrlich, mich gel��stet, gleich noch meine zweite zu verwenden."
Die Marquise las in den ver?nderten Z��gen des Arztes, dass sein Zorn vor��ber und nach einem solchen Ausbruche an diesem Abend kein R��ckfall mehr zu bef��rchten sei.
"Sire", sagte Fagon fast leichtsinnig, "habt Ihr Euern Untertan, den Tiermaler Mouton, gekannt? Ihr sch��ttelt das Haupt. So nehme ich mir die grosse Freiheit, Euch den wenig hoff?higen, aber in diese Geschichte geh?renden K��nstler vorzustellen, zwar nicht in Natur, mit seinem zerl?cherten Hut, den Pfeifenstummel zwischen den Z?hnen--ich rieche seinen Knaster--, hemd?rmelig und mit hangenden Str��mpfen. ��berdies liegt er im Grabe. Ihr liebet die Niederl?nder nicht, Sire, weder ihre Kirmessen auf der Leinwand noch ihre eigenen ungebundenen Personen. Wisset, Majest?t: Ihr habt einen Maler besessen, einen Picarden, der sowohl durch die Sachlichkeit seines Pinsels als durch die Zwanglosigkeit seiner Manieren die Holl?nder bei weitem ��berholl?nderte.
Dieser Mouton, Sire, hat unter uns gelebt, seine grasenden K��he und seine in eine Staubwolke gedr?ngten Hammel malend, ohne eine blasse Ahnung alles Grossen und Erhabenen, was dein Zeitalter, Majest?t, hervorgebracht hat. Kannte er deine Dichter? Nicht von ferne. Deine Bisch?fe und Prediger? Nicht dem Namen nach. Mouton hatte kein Taufwasser gekostet. Deine Staatsm?nner, Colbert, Lyonne und die andern? Darum hat sich Mouton nie geschoren. Deine Feldherrn, Cond�� mit dem Vogelgesicht, Turenne, Luxembourg und den Enkel der sch?nen Gabriele? Nur den letztern, welchem er in Anet einen Saal mit Hirschjagden von unglaublich frecher Mache f��llte. Vend?me mochte Mouton, und dieser nannte seinen herzoglichen G?nner in r��hmender Weise einen Viehkerl, wenn ich das Wort vor den Ohren der Majest?t aussprechen darf. Hat Mouton die Sonne unserer Zeit gekannt? Wusste er von deinem Dasein, Majest?t? Unglaublich zu sagen: den Namen, welcher die Welt und die Geschichte f��llt--vielleicht hat er nicht einmal deinen Namen gewusst, wenn ihm auch, selten genug, deine Goldst��cke durch die H?nde laufen mochten. Denn Mouton konnte nicht lesen, so wenig als sein Liebling, der andere Mouton.
Dieser zweite Mouton, ein weiser Pudel mit ger?umigem Hirnkasten und sehr verst?ndigen Augen, ��ber welche ein schwarzzottiges Stirnhaar in verworrenen B��scheln niederhing, war ohne Zweifel--in den Schranken seiner Natur--der begabteste meiner drei G?ste: so sage ich, weil Julian Boufflers, von dem ich erz?hle, Mouton der Mensch und Mouton der Pudel oft lange Stunden vergn��gt bei mir zusammensassen.
Ihr wisset, Sire, die V?ter Jesuiten sind freigebige Ferienspender, weil ihre Sch��ler, den vornehmen, ja den h?chsten St?nden angeh?rend, ?fters zu Jagden, Kom?dien oder sonstigen Lustbarkeiten, freilich nicht alle, nach Hause oder anderswohin gebeten werden. So nahm ich denn Julian, welcher von seinem Vater, dem Marschall, grunds?tzlich selten nach Hause verlangt wurde, zuweilen in Euern botanischen Garten mit, wo Mouton, der sich unter Pflanzen und Tieren heimisch f��hlte, mich zeitweilig besuchte, irgendeine gelehrte Eule oder einen possierlichen Affen mit ein paar entschiedenen Kreidestrichen auf das Papier warf und wohl auch, wenn Fleiss und gute Laune vorhielten, mir ein stilles Zimmer mit seinen scheuenden Pferden oder saufenden K��hen bev?lkerte. Ich hatte Mouton den Schl��ssel einer Mansarde mit demjenigen des n?chsten Mauerpf?rtchens eingeh?ndigt, um dem Landstreicher eine Heimst?tte zu geben, wo er seine Staffeleien und Mappen unterbringe. So erschien und verschwand er bei mir nach seinem Belieben.
Einmal an einem jener k��hlen und erquicklichen Regensommertage, jener Tage stillen, aber schnellen Wachstumes f��r Natur und Geist, sass ich in meiner Bibliothek und blickte durch das hohe Fenster derselben ��ber einen aufgeschlagenen Folianten und meine Brille hinweg in die mir gegen��berliegende Mansarde des Nebengeb?udes, das Nest Moutons. Dort sah ich einen blonden schmalen Knabenkopf in gl��cklicher Spannung gegen eine Staffelei sich neigen. Dahinter nickte der derbe Sch?del Moutons, und eine behaarte Hand f��hrte die schlanke des J��nglings. Ausser Zweifel, da wurde eine Malstunde gegeben. Mouton der Pudel sass auf einem hohen Stuhle mit rotem Kissen daneben, klug und einverstanden, als billige er h?chlich diese gute Erg?tzung. Ich markierte mein Buch und ging hin��ber.
In meinen Filzstiefeln wurde ich von den lustig Malenden nicht geh?rt und nur von Mouton dem Pudel wahrgenommen, der aber seinen Gruss, ohne das Kissen zu verlassen, auf ein heftiges Wedeln beschr?nkte. Ich liess mich still in einen Lehnstuhl nieder, um dem wunderlichsten Gespr?che beizuwohnen, welches je in Euerm botanischen Garten, Sire, gef��hrt wurde. Zuerst aber betrachtete ich aus meinem Winkel das Bild, welches auf der Staffelei stand, den Geruch einatmend, den die flott und freigebig gehandhabten ?lfarben verbreiteten. Was stellte es dar? Ein Nichts: eine Abendstimmung, eine Flussstille, darin die Spiegelung einiger aufgel?ster roter W?lkchen und eines bemoosten Br��ckenbogens. Im Flusse standen zwei K��he, die eine saufend, die andere, der auch noch das Wasser aus den Maulwinkeln troff beschaulich blickend. Nat��rlich tat Mouton das Beste daran. Aber auch der Knabe besass eine gewisse Pinself��hrung, welche nur das Ergebnis mancher ohne mein Wissen mit Mouton vermalten Stunde sein konnte. Wie
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