Das Leiden eines Knaben | Page 6

Conrad Ferdinand Meyer
Naivit?t. Seltsamer- und traurigerweise sprach der Hausgeistliche von seinem Z?gling unwissentlich in den Worten Moli��res: 'ein Knabe ohne Falsch, der alles auf Treu und Glauben nimmt, ohne Feuer und Einbildungskraft, sanft, friedfertig, schweigsam und'--setzte er hinzu--'mit den sch?nsten Herzenseigenschaften.'
Der Marschall und ich wussten dann--die Wahl war nicht gross--keine bessere Schule f��r das Kind als ein Jesuitencollegium; und warum nicht das in Paris, wenn wir Julian nicht von seinen Standes und Altersgenossen sondern wollten? Man muss es den V?tern lassen: sie sind keine Pedanten, und man darf sie loben, dass sie angenehm unterrichten und freundlich behandeln. Mit einer Schule jansenistischer F?rbung konnten wir uns nicht befreunden: der Marschall schon nicht als guter Untertan, der Euer Majest?t Abneigung gegen die Sekte kannte und Euer Majest?t Gnade nicht mutwillig verscherzen wollte, ich aus eben diesem Grunde"--Fagon l?chelte--"und weil ich f��r den durch seine Talentlosigkeit schon ��berfl��ssig gedr��ckten Knaben die herbe Strenge und die finstern Voraussetzungen dieser Lehre ungeeignet, die leichte Erde und den zug?nglichen Himmel der Jesuiten dagegen hier f��r zutr?glich oder wenigstens v?llig unsch?dlich hielt, denn ich wusste, das Grundgesetz dieser Knabenseele sei die Ehre.
Dabei war auf meiner Seite die nat��rliche Voraussetzung, dass die frommen V?ter nie von dem Marschalle beleidigt w��rden, und das war in keiner Weise zu bef��rchten, da der Marschall sich nicht um kirchliche H?ndel k��mmerte und als Kriegsmann an der in diesem Orden streng durchgef��hrten Subordination sogar ein gewisses Wohlgefallen hatte.
Wie sollte aber der von der Natur benachteiligte Knabe mit einer ?ffentlichen Klasse Schritt halten? Da z?hlten der Marschall und ich auf zwei verschiedene Hilfen. Der Marschall auf das Pflichtgef��hl und den Ehrgeiz seines Kindes. Er selbst, der nur mittelm?ssig Begabte, hatte auf seinem Felde R��hmliches geleistet, aber kraft seiner sittlichen Eigenschaften, nicht durch eine geniale Anlage. Ohne zu wissen oder nicht wissen wollend, dass Julian jene mittlere Begabung, welche er selbst mit eisernem Fleisse verwertete, bei weitem nicht besitze, glaubte er, es gebe keine Unm?glichkeit f��r den Willenskr?ftigen und selbst die Natur lasse sich zwingen, wie ihn denn seine Galopins beschuldigen, er tadle einen w?hrend der Parade ��ber die Stirn rollenden Schweisstropfen als ordonnanzwidrig, weil er selbst nie schwitze.
Ich dagegen baute auf die allgemeine Menschenliebe der Jesuiten und insonderheit auf die Ber��cksichtigung und das Ansehen der Person, wodurch diese V?ter sich auszeichnen. Ich beredete mich mit mehreren derselben und machte sie mit den Eigenschaften des Knaben vertraut. Um ihnen das Kind noch dringender an das Herz zu legen, sprach ich ihnen von der Stellung seines Vaters, sah aber gleich, dass sie sich daraus nichts machten. Der Marschall ist ausschliesslich ein Kriegsmann, dabei tugendhaft, ohne Intrige, und die Ehre folgt ihm nach wie sein Schatten. So hatten die V?ter von ihm nichts zu hoffen und zu f��rchten. Unter diesen Umst?nden glaubte ich Julian eine kr?ftigere Empfehlung verschaffen zu m��ssen und gab den frommen V?tern einen Wink... " Der Erz?hler stockte.
"Was vertuschest du, Fagon?" fragte der K?nig.
"Ich komme darauf zur��ck", stotterte Fagon verlegen, "und dann wirst du, Sire, mir etwas zu verzeihen haben. Genug, das Mittel wirkte. Die V?ter wetteiferten, dem Knaben das Lernen zu erleichtern, dieser f��hlte sich in einer warmen Atmosph?re, seine Erstarrung wich, seine kargen Gaben entfalteten sich, sein Mut wuchs, und er war gut aufgehoben. Da ?nderte sich alles gr��ndlich in sein Gegenteil.
Etwa ein halbes Jahr nach dem Eintritt Julians bei den Jesuiten ereignete sich zu Orl��ans, in dessen Weichbild die V?ter Besitz und eine Schule hatten, welche beide sie zu vergr?ssern w��nschten, eine schlimme Geschichte. Vier Br��der von kleinem Adel besassen dort ein Gut, welches an den Besitz der Jesuiten stiess und das sie ungeteilt bewirteten. Alle vier dienten in Eurem Heere, Sire, verzehrten, wie zu geschehen pflegte, f��r ihre Ausr��stung und mehr noch im Umgang mit reichen Kameraden ihre kurze Barschaft und verschuldeten ihre Felder. Nun fand es sich, dass jenes Jesuitenhaus durch Zusammenkauf dieser Pfandbriefe der einzige Gl?ubiger der vier Junker geworden war und ihnen aus freien St��cken dar��ber hinaus eine abrundende Summe vorschoss, drei Jahre fest, dann mit j?hriger K��ndigung. Daneben aber verpflichteten sich die V?ter den Junkern gegen��ber m��ndlich aufs feierlichste, die ganze Summe auf dem Edelgute stehenzulassen; es sei eben nur ein rein formales Gesetz ihrer Ordens?konomie, Geld nicht l?nger als auf drei Jahre auszutun.
Da begab es sich, dass die V?ter jenes Hauses unversehens in ihrer Vollzahl an das Ende der Welt geschickt wurden, wahrhaftig, ich glaube nach Japan, und die an ihre Stelle tretenden begreiflicherweise nichts von jenem m��ndlichen Versprechen ihrer Vorg?nger wussten. Der dreij?hrige Termin erf��llte sich, die neuen V?ter k��ndigten die Schuld, nach Jahresfrist konnten die Junker nicht zahlen, und es wurde gegen sie verfahren.
Schon hatte sich das fromme Haus in den Besitz ihrer Felder gesetzt, da gab es L?rm. Die tapfern Br��der polterten an alle T��ren, auch an die des Marschalls Boufflers, welcher sie als wackere Soldaten kannte und sch?tzte. Er untersuchte den Handel mit
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