Das Leiden eines Knaben | Page 5

Conrad Ferdinand Meyer
G?nnerin", er verneigte sich huldigend gegen die Marquise, "und f��r ein Weib mein Leben hingegeben h?tte, so war es diese erste Herzogin Boufflers.
Ich lernte sie dann bald n?her kennen, leider als Arzt. Denn ihre Gesundheit war schwankend, und alle diese Lieblichkeit verlosch unversehens wie ein ausgeblasenes Licht. Wenige Tage vor ihrem letzten beschied sie mich zu sich und erkl?rte mir mit den einfachsten Worten von der Welt, sie werde sterben. Sie f��hlte ihren Zustand, den meine Wissenschaft nicht erkannt hatte. Sie ergebe sich darein, sagte sie, und habe nur eine Sorge: die Zukunft und das Schicksal ihres Knaben. 'Er ist ein gutes Kind, aber v?llig unbegabt, wie ich selbst es bin', klagte sie mir bek��mmert, aber unbefangen. 'Mir ward ein leichtes Leben zuteil, da ich dem Marschall nur zu gehorchen brauchte, welcher nach seiner Art, die nichts aus den H?nden gibt, auch wenn ich ein gescheites Weib gewesen w?re, ausser dem einfachsten Haushalte mir keine Verantwortung ��berlassen h?tte--du kennst ihn ja, Fagon, er ist peinlich und regiert alles selber. Wenn ich in der Gesellschaft schwieg oder meine Rede auf das N?chste beschr?nkte, um nichts Unwissendes oder Verf?ngliches zu sagen, so war ihm das gerade recht, denn eine Witzige oder Gl?nzende h?tte ihn nur beunruhigt. So bin ich gut durchgekommen. Aber mein Kind? Der Julian soll als der Sohn seines Vaters in der Welt eine Figur machen. Wird er das k?nnen? Er lernt so unglaublich schwer. An Eifer l?sst er es nicht fehlen, wahrlich nicht, denn es ist ein tapferes Kind... Der Marschall wird sich wieder verheiraten, und irgendeine gescheite Frau wird ihm anstelligere S?hne geben. Nun m?chte ich nicht, dass der Julian etwas Ausserordentliches w��rde, was ja auch unm?glich w?re, sondern nur, dass er nicht zu harte Dem��tigungen erleide, wenn er hinter seinen Geschwistern zur��ckbleibt. Das ist nun deine Sache, Fagon. Du wirst auch zusehen, dass er k?rperlich nicht ��bertrieben werde. Lass das nicht aus dem Auge, ich bitte dich! Denn der Marschall ��bersieht das. Du kennst ihn ja. Er hat den Krieg im Kopf, die Grenzen, die Festungen... Selbst ��ber der Mahlzeit ist er in seine Gesch?fte vertieft, der dem K?nig und Frankreich unentbehrliche Mann, l?sst sich pl?tzlich eine Karte holen, wenn er nicht selbst danach aufspringt, oder ?rgert sich ��ber irgendeine vormittags entdeckte Nachl?ssigkeit seiner Schreiber, welchen man bei der um sich greifenden Pflichtvergessenheit auch nicht das Geringste mehr ��berlassen d��rfe. Geht dann durch einen Zufall ein T?sschen oder Sch?lchen entzwei, vergisst sich der Reizbare bis zum Schelten. Gew?hnlich sitzt er schweigend oder einsilbig zu Tische, mit gerunzelter Stirn, ohne sich mit dem Kinde abzugeben, das an jedem seiner Blicke h?ngt, ohne sich nach seinen kleinen Fortschritten zu erkundigen, denn er setzt voraus: ein Boufflers tue von selbst seine Pflicht. Und der Julian wird bis an die ?ussersten Grenzen seiner Kr?fte gehen... Fagon, lass ihn keinen Schaden leiden! Nimm dich des Knaben an! Bring ihn heil hinweg ��ber seine zarten Jahre! Mische dich nur ohne Bedenken ein. Der Marschall h?lt etwas auf dich und wird deinen Rat gelten lassen. Er nennt dich den redlichsten Mann von Frankreich... Also du versprichst es mir, bei dem Knaben meine Stelle zu vertreten... Du h?ltst Wort und dar��ber hinaus... '
Ich gelobte es der Marschallin, und sie starb nicht schwer.
Vor dem Bette, darauf sie lag, beobachtete ich den mir anvertrauten Knaben. Er war aufgel?st in Tr?nen, seine Brust arbeitete, aber er warf sich nicht verzweifelnd ��ber die Tote, ber��hrte den entseelten Mund nicht, sondern er kniete neben ihr, ergriff ihre Hand und k��sste diese, wie er sonst zu tun pflegte. Sein Schmerz war tief, aber keusch und enthaltsam. Ich schloss auf m?nnliches Naturell und fr��h ge��bte Selbstbeherrschung und betrog mich nicht. Im ��brigen war Julian damals ein h��bscher Knabe von etwa dreizehn Jahren, mit den seelenvollen Augen seiner Mutter, gewinnenden Z��gen, wenig Stirn unter verworrenem blonden Ringelhaar und einem untadeligen Bau, der zur Meisterschaft in jeder Leibes��bung bef?higte.
Nachdem der Marschall das Weib seiner Jugend beerdigt und ein Jahr sp?ter mit der j��ngsten des Marschalls Grammont sich wiederverehlicht hatte, dem r��hrigen, grundgescheiten, olivenfarbigen, brennend magern Weibe, das wir kennen, beriet er aus freien St��cken mit mir die Schule, wohin wir Julian schicken sollten; denn seines Bleibens war nun nicht l?nger im v?terlichen Hause.
Ich besprach mich mit dem geistlichen Hauslehrer, welcher das Kind bisher beaufsichtigt und besch?ftigt hatte. Er zeigte mir die Hefte des Knaben, die Zeugnis ablegten von einem r��hrenden Fleiss und einer tapfern Ausdauer, aber zugleich von einem unglaublich mittelm?ssigen Kopfe, einem v?lligen Mangel an Kombination und Dialektik, einer absoluten Geistlosigkeit. Was man im weitesten Sinne Witz nennt, jede leidenschaftliche--warme oder spottende--Beleuchtung der Rede, jede ��berraschung des Scharfsinns, jedes Spiel der Einbildungskraft waren abwesend. Nur der einfachste Begriff und das ?rmste Wort standen dem Knaben zu Gebote. H?chstens gefiel dann und wann eine Wendung durch ihre Unschuld oder brachte zum L?cheln durch ihre
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