Das Leiden eines Knaben | Page 4

Conrad Ferdinand Meyer
begann der Leibarzt, "und dieser, w?hrend schon der Tod nach seiner kranken Brust zielte, sich belustigte, denselben auf der B��hne nachzu?ffen, wurde das Meisterst��ck 'Der Kranke in der Einbildung' auch vor der Majest?t hier in Versailles aufgef��hrt. Ich, der ich sonst eine w��rdige mit Homer oder Virgil verlebte Stunde und den Wellenschlag einer antiken Dichtung unter gestirntem Himmel den grellen Lampen und den verzerrten Gesichtern der auf die B��hne gebrachten Gegenwart vorziehe, ich durfte doch nicht wegbleiben, da wo mein Stand verspottet und vielleicht, wer wusste, ich selbst und meine Kr��cke"--er hob sein Bambusrohr, auf welches er auch sitzend sich zu st��tzen fortfuhr--, "abbildlich zu sehen waren. Es geschah nicht. Aber h?tte Moli��re mich in einer seiner Possen verewigt, wahrlich, ich h?tte es dem nicht verargen k?nnen, der sein eigenes schmerzlichstes Empfinden komisch betrachtet und verk?rpert hat. Diese letzten St��cke Moli��res, nichts geht dar��ber! Das ist die souver?ne Kom?die, welche freilich nicht nur das Verkehrte, sondern in grausamer Lust auch das Menschlichste in ein h?hnisches Licht r��ckt, dass es zu grinsen beginnt. Zum Beispiel, was ist verzeihlicher, als dass ein Vater auf sein Kind sich etwas einbilde, etwas eitel auf die Vorz��ge und etwas blind f��r die Schw?chen seines eigenen Fleisches und Blutes sei? L?cherlich freilich ist es und fordert den Spott heraus. So lobt denn auch im 'Kranken in der Einbildung' der alberne Diaforius seinen noch alberneren Sohn Thomas, einen vollst?ndigen Dummkopf Doch die Majest?t kennt die Stelle."
"Mache mir das Vergn��gen, Fagon, und rezitiere sie mir", sagte der K?nig, welcher, seit Familienverluste und schwere ?ffentliche Unf?lle sein Leben ernst gemacht, sich der komischen Muse zu enthalten pflegte, dem die Lachmuskeln aber unwillk��rlich zuckten in Erinnerung des guten Gesellen, den er einst gern um sich gelitten und an dessen Masken er sich erg?tzt hatte.
"'Es ist nicht darum'", spielte Fagon den Doctor Diaforius, dessen Rolle er seltsamerweise auswendig wusste, "'weil ich der Vater bin, aber ich darf sagen, ich habe Grund, mit diesem meinem Sohne zufrieden zu sein, und alle, die ihn sehen, sprechen von ihm als von einem J��ngling ohne Falsch. Er hat nie eine sehr t?tige Einbildungskraft, noch jenes Feuer besessen, welches man an einigen wahrnimmt. Als er klein war, ist er nie, was man so heisst, aufgeweckt und mutwillig gewesen. Man sah ihn immer sanft, friedselig und schweigsam. Er sprach nie ein Wort und beteiligte sich niemals an den sogenannten Knabenspielen. Man hatte schwere M��he, ihn lesen zu lehren, und mit neun Jahren kannte er seine Buchstaben noch nicht. Gut', sprach ich zu mir, 'die sp?ten B?ume tragen die besten Fr��chte, es gr?bt sich in den Marmor schwerer als in den Sand'... und so fort. Dieser langsam getr?ufelte Spott wurde dann auf der B��hne zum gr��ndlichen Hohn durch das uns?glich einf?ltige Gesicht des Belobten und zum unwiderstehlichen Gel?chter in den Mienen der Zuschauer. Unter diesen fand mein Auge eine blonde Frau von r��hrender Sch?nheit und besch?ftigte sich mit den langsam wechselnden Ausdr��cken dieser einfachen Z��ge; zuerst demjenigen der Freude ��ber die gerechte Belobung eines schwer, aber fleissig lernenden Kindes, so unvorteilhaft der J��ngling auf der B��hne sich ausnehmen mochte, dann dem andern Ausdrucke einer traurigen Entt?uschung, da die Schauende, ohne jedoch recht zu begreifen, inne wurde, dass der Dichter, der es mit seinen schlichten Worten ernst zu meinen schien, eigentlich nur seinen blutigen Spott hatte mit der v?terlichen Selbstverblendung. Freilich hatte Moli��re, der grossartige Sp?tter, alles so naturwahr und sachlich dargestellt, dass mit ihm nicht zu z��rnen war. Eine lange und m��hsam verhaltene, tief schmerzliche Tr?ne rollte endlich ��ber die zarte Wange des bek��mmerten Weibes. Ich wusste nun, dass sie Mutter war und einen unbegabten Sohn hatte. Das ergab sich f��r mich aus dem Geschauten und Beobachteten mit mathematischer Gewissheit.
Es war die erste Frau des Marschalls Boufflers."
"Auch wenn du sie nicht genannt h?ttest, Fagon, ich erkannte aus deiner Schilderung meine s��sse Blondine", seufzte die Marquise. "Sie war ein Wunder der Unschuld und Herzenseinfalt, ohne Arg und Falsch, ja ohne den Begriff der List und L��ge.
Die Freundschaft der zwei Frauen, welche der Marquise einen so r��hrenden Eindruck hinterliess, war eine wahre und f��r beide Teile wohlt?tige gewesen. Frau von Maintenon hatte n?mlich in den langen und schweren Jahren ihres Emporkommens, da die still Ehrgeizige mit z?hester Schmiegsamkeit und geduldigster Konsequenz, immer heiter, ��berall dienstfertig, sich einen K?nig und den gr?ssten K?nig der Zeit eroberte, mit ihren klugen Augen die arglose Vornehme von den andern ihr missg��nstigen und feindseligen Hofweibern unterschieden und sie mit ein paar herzlichen Worten und zutulichen Gef?lligkeiten an sich gefesselt. Die beiden halfen sich aus und deckten sich einander mit ihrer Geburt und ihrem Verstand.
"Die Marschallin hatte Tugend und Haltung", lobte der K?nig, w?hrend er einen in seinem Ged?chtnis auftauchenden anmutigen Wuchs, ein liebliches Gesicht und ein aschenblondes Ringelhaar betrachtete.
"Die Marschallin war dumm", erg?nzte Fagon knapp. "Aber wenn ich Kr��ppel je ein Weib geliebt habe--ausser meiner
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