Das Leben und der Tod des Königs Lear | Page 7

William Shakespeare
und Nacht beleidigt er mich; es vergeht keine Stunde,
da er nicht in diese oder jene grobe Übelthat aufsprudelt, die uns alle an
einander hezt; ich will es nicht länger leiden: Seine Ritter fangen an
ganz ausgelassen zu werden, und er selbst macht uns um einer jeden
Kleinigkeit willen Vorwürffe. Wenn er von der Jagd zurük kömmt, will
ich nicht mit ihm reden; sagt, ich befinde mich nicht wol. Wenn ihr von
euerm vorigen Dienst-Eifer gegen ihn nachlasset, werdet ihr wohl thun;
ich nehme die Verantwortung auf mich.
Hofmeister.
Er kömmt würklich, Gnädige Frau; ich hör' ihn.
Gonerill.
Ermüdet seine Geduld durch so viel Nachlässigkeiten, als
euch nur beliebt, ihr und eure Cameraden; ich möchte gern, daß es zur
Untersuchung käme. Wenn es ihm nicht ansteht, so mag er zu meiner
Schwester gehen, deren Sinn mit dem meinigen darinn übereinkömmt,

sich nicht beherrschen lassen zu wollen; der thörichte alte Mann, der
alle diese Gewalt immer ausüben will, die er doch weggegeben hat.
Nun, bey meinem Leben! Alte Leute werden wiederum Kinder, und
müssen, wie Kinder, ausgescholten und nicht geliebkoset werden, wenn
man sieht daß sie nur unartiger davon werden.
Hofmeister.
Euer Gnaden haben vollkommen recht.
Gonerill.
Seinen Rittern kan man auch kältere Blike zukommen
lassen; was daraus entstehen mag, das hat nichts zu bedeuten; weiset
die übrigen Bedienten deshalben an; ich will sogleich an meine

Schwester schreiben, damit sie eben denselben Weg einschlägt--Macht,
daß das Mittag-Essen fertig wird.
(Sie gehen ab.)
Zwölfter Auftritt.
(Die Scene verändert sich in einen offnen Plaz, vor
dem Palast.)
Kent (tritt auf, verkleidet.)
Wenn ich eben sowol einen andern Accent
und eine langsamere Aussprache annehmen kan, als ich meine Gestalt
verändert habe, so kan meine gute Absicht vielleicht zu dem völligen
Endzwek kommen, um dessentwillen ich meine Person verläugne.
(Man hört Hifthörner. Lear, seine Ritter und Bediente treten auf.)
Lear.
Laßt mich nicht einen Augenblik auf das Mittag-Essen warten.
Geht, macht es fertig. Wie nun, wer bist du?
(Zu Kent.)
Kent.
Ein Mann, Sir.
Lear.
Wofür giebst du dich? was willt du bey uns?
Kent.
Ich gebe mich für nicht weniger, dann ich scheine; für einen,
der demjenigen treulich dienen will, der mich in Pflicht nimmt, der
ehrliche Leute liebt, und mit vernünftigen Leuten gern umgeht; der

nicht viel spricht, weil er sich vor Tadel fürchtet; der ficht, wenn er's
nicht vermeiden kan, und keine Fische ißt.*
Lear.
Wer bist du?
Kent.
Ein recht ehrlicher gutherziger Kerl, und so arm als der König.
Lear.
Wenn du für einen Unterthanen so arm bist, als er es für einen
König ist, so bist du arm genug. Was willt du?
Kent.
Dienste.
Lear.
Wem willt du dienen?
Kent.
Euch.
Lear.
Kennst du mich, Bursche?
Kent.
Nein, Sir; aber ihr habt etwas in eurer Person, das ich gerne
meinen Herrn nennen möchte.
Lear.
Und was ist das?
Kent.
Ansehen.
Lear.
Was für Dienste kanst du thun?
Kent.
Ich kan ehrliche Geheimnisse bey mir behalten, reiten, lauffen,
ein lustiges Mährchen auf eine langweilige Art erzählen, und eine
leichte Commission ungeschikt ausrichten--Wozu ein alltäglicher
Mensch nur immer tüchtig ist, dazu bin ich der Mann; und das Beste an
mir, ist Fleiß.
Lear.
Wie alt bist du?
Kent.
Nicht jung genug, Sir, um ein Weibsbild, wegen ihres Singens
zu lieben; und nicht alt genug, um wegen irgend einer Ursache in sie

vernarrt zu seyn. Ich hab acht und vierzig Jahr auf meinem Rüken.
Lear.
Folge mir, ich nehme dich in meine Dienste; wenn du mir nach
der Mahlzeit nicht schlechter gefällst, so werden wir nimmer von
einander scheiden. Das Mittag-Essen! hO! das Mittag-Essen!--Wo ist
mein Schlingel? mein Narr? Geht, ruft meinen Narren her. Ihr, Ihr,
Bengel! Hört ihr, wo ist meine Tochter? (Der Haushofmeister kömmt.)
Hofmeister.
Wenn es beliebt--
(Er geht wieder ab.)
Lear.
Was sagt der Kerl da? Ruft den Lümmel zurük--Wo ist mein
Narr? ho! Ich denke, die ganze Welt ligt im Schlaf Was ists? was sagt
der Maulaffe?
Ritter.
Mylord, er sagt, eure Tochter befinde sich nicht wohl.
Lear.
Warum kam der Sclave nicht zurük, als ich ihn rief?
Ritter.
Er antwortete mir rund heraus, er wolle nicht.
Lear.
Er wolle nicht?
Ritter.
Mylord, ich weiß nicht was es zu bedeuten hat; aber meines

Bedünkens, wird Euer Hoheit nicht mehr mit der ehrfurchtsvollen
Zuneigung begegnet, wie ehmals--Es zeigt sich eine gewaltige
Abnahme von Freundlichkeit, sowol bey allen Bedienten, als bey dem
Herzog und Eurer Tochter selbst.
Lear.
Ha! sagst du das?
Ritter.
Ich bitte um Vergebung, Mylord, wenn ich mich irre; aber
meine Pflicht kan nicht schweigen, wenn ich denke, Eure Hoheit werde
beleidiget.
Lear.
Du erinnerst mich nur an meine eigne Beobachtungen. Ich habe

seit kurzem eine höchst kaltsinnige Nachlässigkeit bemerkt, die ich
aber mehr meiner eignen allzu eifersüchtigen Aufmerksamkeit, als
einer Absicht Unfreundlichkeit gegen mich zu zeigen, beymaß. Ich will
genauer Acht geben. Aber wo ist mein Narr? ich habe ihn diese zween
Tage nicht gesehen.
Ritter.
Seitdem meine junge Lady nach Frankreich abgegangen ist, ist
er ganz niedergeschlagen.
Lear.
Nichts mehr hievon; ich hab es wol bemerkt. Geht, und sagt
meiner Tochter, ich möchte mit ihr reden. Und ihr
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