Das Leben und der Tod des Königs Lear | Page 6

William Shakespeare
damit meynte.

Gloster.
Denket ihr das?
Edmund.
Wenn Euer Gnaden es gut finden, will ich Euch an einen
Ort stellen, wo Ihr uns beyde über diese Sache reden hören, und durch
das Zeugniß Eurer eignen Ohren befriediget werden könnt; und das
ohne längern Aufschub, diesen Abend noch.
Gloster.
Nein! er kan nicht ein solches Ungeheuer seyn!
Edmund.
Auch ist er es gewiß nicht!
Gloster.
Gegen einen Vater, der ihn so zärtlich liebt--Himmel und
Erde! Edmund, such ihn auf; mache daß ich ihn ungesehen hören kan,
veranstalte die Sache nach deiner eignen Klugheit. Ich will den Vater
ablegen, um nur nach den Gesezen der Gerechtigkeit zu handeln.
Edmund.
Ich will ihn sogleich aufsuchen; ich will die Sache so
einleiten, wie es die Umstände erfodern, und euch von allem Nachricht
geben.
Gloster.
Diese neuerlichen Verfinsterungen der Sonne und des Monds
bedeuten uns nichts Gutes. Wenn schon die Ordnung der allezeit
weisen Natur nicht dadurch aufgehoben wird, so leidet sie doch unter
den Folgen. Die Liebe erkaltet, die Freundschaft fällt ab, Brüder
trennen sich. In Städten Aufruhr; in Provinzen Zwietracht; in Pallästen

Verrätherey; und das Band zwischen Sohn und Vater aufgelöst.
Dieser mein Bösewicht fällt unter die Weissagung--Hier ist ein Sohn
wider den Vater; der König tritt aus dem Gleise der Natur--Hier ist ein
Vater wider sein Kind. Wir haben das Beste von unsrer Zeit schon
gesehen. Untreue, Ränke, Verrath und alle verderbliche Unordnungen
verfolgen uns bis in unser Grab. Suche diesen Buben auf, Edmund; es
soll dir keinen Schaden bringen--Thu es mit Sorgfalt--und der edle
treuherzige Kent verbannt! Sein Verbrechen, Redlichkeit! das ist
wunderlich!
(Geht ab.)

Achter Auftritt.
Edmund (kommt zurük.)
Es ist doch eine vortreffliche Narrheit der
Welt, daß wenn wir meistens durch eigne Schuld unglüklich sind, wir
auf Sonne, Mond und Sterne die Schuld unsrer Unfälle werfen, und uns
bereden möchten, wir seyen Bösewichter durch fatale Nothwendigkeit,
Thoren durch himmlischen Antrieb, feige Memmen, Diebe und
Spizbuben durch die Obermacht der Sphären; Säuffer, Lügner und
Ehebrecher durch einen unwiderstehlichen Einfluß der Planeten; und
alles, worinn wir schlimm sind, durch göttliches Verhängniß. Eine
unvergleichliche Ausflucht für den H** Jäger, den Menschen, seine
bökische Neigungen auf Rechnung der Gestirne zu schreiben. Mein
Vater hielt mit meiner Mutter unter dem Drachenschwanz zu, und unter
dem Einfluß des grossen Bären wurde ich gebohren; folglich kan ich
nicht anders als rauh und schelmisch seyn. Wahrhaftig, ich würde
gewesen seyn wer ich bin, wenn gleich der allerjungfräulichste Stern
am ganzen Firmament über meine Bastardisation gefunkelt hätte.
Neunte Scene.
(Edgar kömmt zu ihm.)
Edmund.
Husch!--Er kömmt gleich der Entwiklung in der alten
Comödie.* Meine Rolle ist, spizbübische Melancholie mit einem
Seufzer, wie Tom von Bedlam--O! diese Finsternisse bedeuten solche
Mißhelligkeiten! fa, sol, la, mi,--
{ed.-* Das ist, er kömmt recht (a propos.) Ein Compliment, welches
Shakespeareden regelmässigen Stüken macht.}
Edgar.
Wie stehts, Bruder Edmund, in was für einer tiefsinnigen

Betrachtung seyd ihr begriffen?
Edmund.
Ich denke, Bruder, an eine Weissagung, die ich dieser
Tagen las, was auf diese Verfinsterungen folgen würde.
Edgar.
Bekümmert ihr euch um solche Dinge?
Edmund.
Ich versichre euch, diese Weissagungen treffen zum Unglük

nur gar zu wol ein. Wenn sahet ihr meinen Vater das lezte mal?
Edgar.
Verwichne Nacht.
Edmund.
Sprachet ihr mit ihm?
Edgar.
Ja, zwey Stunden an einander.
Edmund.
Schiedet ihr vergnügt von einander? Fandet ihr kein
Mißvergnügen bey ihm, weder in Worten noch Gebehrden?
Edgar.
Nicht das geringste.
Edmund.
Besinnet euch, worinn ihr ihn etwann beleidigt haben
möchtet, und lasset euch erbitten, seine Gegenwart zu meiden, bis die
erste Hize seines Unwillens sich verlohren haben wird, welche izt so
sehr in ihm tobet, daß es ohne Unglük für eure Person schwerlich
ablauffen könnte.
Edgar.
Irgend ein schändlicher Bube muß mich bey ihm verläumdet
haben.
Edmund.
Das fürcht' ich eben; ich bitte euch, weichet ihm sorgfältig
aus, bis sich seine Wuth in etwas gelegt hat; und wie ich sage, kommt
mit mir in mein Zimmer, wo ich machen will, daß ihr ohne bemerkt zu
werden, Mylord reden hören könnet. Ich bitte euch, geht; hier ist mein
Schlüssel; wenn ihr heraus geht, so gehet bewaffnet.
Edgar.
Bewaffnet, Bruder!
Edmund.
Bruder, ich rathe euch das beste; ich will kein ehrlicher
Mann seyn, wenn man etwas gutes gegen euch im Sinn hat. Ich habe
euch gesagt, was ich gesehen und gehört habe; doch auf die gelindeste
Art; es kan nichts entsezlichers seyn.--Ich bitte euch, gehet.
Edgar.
Werde ich bald wieder von euch hören?

(Geht ab.)
Zehnter Auftritt.
Edmund.
Ich diene euch in diesem Geschäfte. Ein leichtgläubiger
Vater, und ein edler Bruder, dessen Gemüthsart so entfernt ist jemand
ein Leid zu thun, daß er auch keines argwöhnen kan, und dessen
alberne Ehrlichkeit die Helfte meiner Ränke unnöthig macht. Ich sehe
diesem Geschäft unter die Augen. Wenn mir die Geburt keine
Ländereyen gab, so soll mein Wiz sie mir verschaffen. Mir ist alles
recht, was sich machen läßt.
(Geht ab.)
Eilfter Auftritt.
(Des Herzogs von Albanien Palast. Gonerill und
Haushofmeister treten auf.)
Gonerill.
Wie? mein Vater schlägt meinen Hof-Junker, weil dieser
seinen Narren ausgescholten hat?
Hofmeister.
So ist es, Gnädige Frau.
Gonerill.
Tag
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