Das Haidedorf | Page 7

Adalbert Stifter
werden könnte. Der
Schreinergeselle wurde über Nacht im Haidehause gut gehalten, und
ließ eitel Freude [69] zurück, als er des andern Tages in
entgegengesetzter Richtung von dannen zog. [70] So kam es, daß jedes
Jahr ein- oder zweimal ein Wandersmann den Umweg über die Haide
machte, dem schönen, freundlichen, handsamen Jünglinge zu Liebe,
der gern einen Gruß an sein liebes Mütterchen schicken wollte. Ja sogar
einesmals kam Einer geschritten, und conterfeite das Häuschen sammt
dem Brunnen und Flieder- und Apfelbaume.
Auch andere Veränderungen begannen auf der Haide. Es kamen einmal
viele Herren und vermaßen ein Stück Haideland, das seit
Menschengedenken keines Herrn Eigenthum gewesen war, und es kam
ein alter Bauersmann, und zimmerte mit vielen Söhnen und Leuten ein
Haus darauf, und fing an, den vermessenen Fleck urbar zu machen. Er
hatte fremdes Korn gebracht, das auf dem Haideboden gut anschlug,
[71] und im nächsten Jahre wogte ein grüner Aehrenwald zunächst an
Vater Niklas Besitzungen, wo noch im vorigen Frühlinge nur Schlehen
und Liebfrauenschuh geblüht hatten. Der alte Bauer war ein
freundlicher Mann, ein Mann vieler Kenntnisse, und teilte gerne seinen
Rath und sein Wissen und seine Hülfe an die frühern Haidebewohner,
und hielt gute Nachbarschaft mit Vater Niklas. Sie fuhren nun Beide
gar in die Stadt, verkauften dort ihr Getreide weit besser, und am
Getreidemarkt im goldenen Rosse waren die Haidebauern wohl
gekannt und wohlgelitten.
Nach und nach kamen neue Ansiedler; auch eine Straße wurde von der
Grundherrschaft [72] über die Haide gebahnt, so daß nun manchmal
des Weges ein vornehmer Wagen kam, deßgleichen man noch nie auf
der Haide gesehen. Auch des alten Bauers Söhne bauten sich an, [73]
und einer, sagte man sich in's Ohr, werde wohl schön Marthens
Bräutigam werden. Und so, ehe sieben Jahre in's Land gegangen,
standen schon fünf Häuser mit Ställen und Scheunen, mit Giebeln und

Dächern um das kleine, alte, graue Haidehaus, und Felder und Wiesen
und Wege und Zäune gingen fast bis auf eine Viertelstunde Weges
gegen den Roßberg, der aber noch immer so einsam war, wie
sonst;--und am Pankratiustage hatte Vater Niklas die Freude, zum
Richter des Haidedorfes gewählt zu werden,--er der Erste seit der
Erschaffung der Welt, der solch Amt und Würde auf diesem Flecke
bekleidete.
Wieder waren Jahre um Jahre vergangen, die Obstbaumsetzlinge, zarte
Stangen, wie sie der alte Nachbarsbauer gebracht und an Niklas
mitgeteilt hatte, standen nun schon als wirthliche Bäume da, und
brachten reiche Frucht, und manchen Sonntagstrunk an
Obstwein.--Marthe war an Nachbars Benedikt verheirathet, und sie
trieben eigene Wirthschaft. [74]--Die Haide war weiß und wieder grün
geworden; aber des Vaters Haare b l i e b e n weiß, und die Mutter fing
bereits an, der Großmutter ähnlich zu werden, welche Großmutter
allein unverwüstlich und unveränderlich blieb, immer und ewig am
Hause sitzend, ein träumerisches Ueberbleibsel, gleichsam, als warte
sie auf Felixens Rückkehr. Aber Felix schien, wie einst Jacobus,
verschollen zu sein aus der Haide. Seit drei Jahren kam keine Kunde
und kein Wandersmann.--In der Hauptstadt, wohin gar Benedikt
gegangen, um ihn zu suchen, war er nicht zu finden, und im Amte
sagten ihm die Kanzleiherren [75] aus einem großen Buche, er sei
außer Landes gegangen, vielleicht gar über das Meer. Der Vater hörte
schon auf, von ihm zu reden; Marthe hatte ein Kindlein und dachte
nicht an ihn, die Haidedörfler kannten ihn nicht, und liebten ihn auch
nicht, als einen, der da einmal davongegangen; die Großmutter fragte
nur bisweilen nach Jacobus:--aber das Mutterherz trug ihn unverwischt
und schmerzhaft in sich, seit dem Tage, als er von dannen gezogen und
an ihrem Busen geweint hatte--und das Mutterherz trug ihn Abends in
das Haus, und Morgens auf die Felder--und das Mutterherz war es auch
allein, das ihn erkannte, als einmal am Pfingstsamstage durch die
Abendröthe ein wildfremder sonnverbrannter Mann gewandert kam,
den Stab in der Hand, das Ränzlein auf dem Rücken, und stehen blieb
vor dem Haidehause.
"Felix"--"Mutter!"

Ein Schrei und ein Sturz an das Herz.
Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbarste Platz des Sohnes,
selbst wenn er schon graue Haare trägt--und jeder hat im ganzen
Weltall nur ein e i n z i g e s solches Herz.
Das alte Weib brach an ihm fast nieder vor Schluchzen, und er,
vielleicht seit Jahren keiner Thräne mehr gewohnt, ließ den Bach seiner
Augen strömen, und hob sie zu sich auf, und drückte sie, und
streichelte ihre grauen Haare, nicht sehend, daß Vater und Schwester,
und das halbe Dorf um sie Beide standen.
"Felix, mein Felix, wo kommst Du denn her?" fragte sie endlich.
"Von Jerusalem, Mutter, und von der Haide des Jordans.--Gott grüß'
Euch, Vater, und Gott grüße Euch, Großmutter! Jetzt bleib' ich lange
bei Euch, und geliebt [76] es Gott, auf immer."
Er schloß den zitternden Vater an's Herz, und dann die alte Großmutter,
die fast schamhaft und demüthig bei Seite stand--und dann noch einmal
den
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