der Großmutter
und sagte: "Liebe Mutter, ich gehe jetzt, lebet wohl und betet für
mich!"
"Kind, du mußt der Schafe achten, der Thau ist zu früh, und zu kühl!"
"Nicht auf die Haide gehe ich, Großmutter, sondern weit fort in das
Land, um zu lernen und tüchtig zu werden, wie ich es Euch ja gestern
Alles gesagt habe."
"Ja, Du sagtest es," erwiederte sie, "Du sagtest es, mein Kind--ich habe
Dich mit Schmerzen geboren, aber Dir auch Gaben gegeben, zu werden,
wie einer der Propheten und Seher--ziehe mit Gott, aber komme wieder,
Jacobus!"
Jacobus hatte ihr Sohn geheißen, der auch einmal fortgegangen, vor
mehr als sechzig Jahren, aber nie wieder zurückgekehrt war.
"Mutter," sagte er noch einmal, "gebt mir Eure Hand."
Sie gab sie ihm; er schüttelte sie und sagte: "Lebt wohl, lebt wohl."
"Amen, Amen," sagte sie, als hörte sie zu beten auf.
Dann wandte sich der Knabe gegen die Eltern; das Herz war ihm so
sehr emporgeschwollen--er sagte nichts, sondern mit eins hing er am
Halse der Mutter, und sie, heiß weinend, küßte ihn auf beide Wangen,
und schob ihm noch ein Geldstück zu, das sie einst als Pathengeschenk
empfangen, und immer aufgehoben hatte, allein er nahm es nicht. Dem
Vater reichte er bloß die Hand, weil er sich nicht getraute, ihn zu
umarmen. Dieser machte ihm ein Kreuz auf die Stirne, auf den Mund
und die Brust, und als hierbei seine rauhe Hand zitterte, und um den
harten Mund ein heftiges Zucken ging, da hielt sich der Knabe nicht
mehr. Mit einem Thränengusse warf er sich an die Brust des Vaters,
und dessen linker Arm umkrampfte [64] ihn eine Sekunde, dann ließ er
ihn los, und schob ihn wortlos gegen die Haide. Die Mutter aber rief
ihn noch einmal, und sagte, er möge doch auch das kleine
Schwesterchen gesegnen, [65] die man in ihrem Bettlein ganz
vergessen habe. Drei Kreuze machte er über den schlafenden Engel,
dann schritt er schnell hinaus, und ging trotzig vorwärts gegen die
Haide.
So ziehe mit Gott, du unschuldiger Mensch, und bringe nur das
Kleinod wieder, was du so leichtsinnig fortträgst!
Als er an den Roßberg gekommen, ging die Sonne auf, und schaute in
zwei treuherzige, zuversichtliche, aber rothgeweinte Augen. Am
Haidehause spiegelte sie sich in den Fenstern, und an der Sense des
Vaters, der mähen ging.
III.
Das Haidedorf.
Des ersten Abends war es öde und verlassen, und den beiden Eltern that
das Herz weh, als sie in der Dämmerung des Sommers zu Bette gingen,
und auf seine leere Schlafstelle sahen. Um denselben Menschen, der
vielleicht eben jetzt noch auf dürrer Heerstraße wanderte, und von
Keinem beachtet, ja von den Meisten v e r a c h t e t wurde, brachen
fast zwei naturrohe Herzen im entlegenen Haidehause, daß sie ihn von
nun an, vielleicht auf immer entbehren sollten; aber sie drückten den
Schmerz in sich, und jedes trug ihn einsam, weil es zu schamhaft und
unbeholfen war, sich zu äußern.
Aber es kam ein zweiter Tag, und ein dritter, und ein vierter, ein jeder
spannte denselben glänzenden Himmelsbogen über die Haide, und
funkelte nieder auf die Fenster und das altergraue Dach des Hauses
eben so freundlich und lieblich, wie als er noch dagewesen war.
Und dann kamen wieder Tage und wieder.
Die Arbeit und Freude des Landmanns, durch Jahrtausende einförmig,
und durch Jahrtausende noch unerschöpft, zog auch hier geräuschlos
und magisch ein Stück ihrer uralten Kette durch die Hütte, und an
jedem ihrer Glieder hing ein Tröpflein Vergessenheit.
Die Großmutter trug nach wie vor ihren Holzschemel auf die Wiese,
und betete daran, und sie und klein Marthe fragten täglich, wann denn
Felix komme. Der Vater mähete Roggen und Gerste--die Mutter
machte Käse und band Garben--und der fremde Ziegenbube trieb
täglich auf die Haide. Von Felix wußte man nichts.
Die Sonne ging auf, und ging unter, die Haide wurde weiß, und wurde
grün, der Hollunderbaum und der Apfelbaum blüheten vielmal--klein
Marthe war groß geworden, und ging mit, um zu heuen [66] und zu
ernten, aber sie fragte nicht mehr,--und die Großmutter, ewig und
unbegreiflich hinaus lebend, wie ein vom Tode vergessener Mensch,
fragte auch nicht mehr, weil er ihr entfallen war, oder sich zu ihren
heimlichen Fantasiegestalten gesellt hatte.
Die Felder des Haidebauers besserten sich nachgerade, als ob der
Himmel seine Einsamkeit segnen und ihm vergelten wollte, und es
wurde ihm so gut, [67] daß er schon manchen Getreidesack, aufladen,
und mit schönen Ochsen fortführen konnte, wofür er dann einige Thaler
Geldes, und Neuigkeiten von der Welt draußen heimbrachte. Einmal
kam auch ein Schreinergeselle mit seinem Wanderpacke [68] zu Vater
Niklas, dem Haidebauer, und brachte einen Gruß und einen Brief von
Felix, und sagte, daß derselbe in der großen, weit entfernten Hauptstadt
ein schmucker, fleißiger Student sei, daß ihn Alles liebe, und daß er gar
eines Tages Kaplan in der großen Domkirche
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.