nur von ihm allein gutwillig litt, weil es wohl wußte, daß er sein
Beschützer und zuversichtlicher Kamerade sei. Der Vater liebte seinen
Sohn wohl auch, und gewiß nicht minder als die Mutter, aber nach der
Verschämtheit gemeiner Stände, zeigte er diese Liebe nie, am
wenigsten dem Sohne--dennoch konnte man sie recht gut erkennen an
der Unruhe, mit der er aus- und einging, und an den Blicken, die er
häufig gegen den Roßberg that, wenn der Knabe einmal zufällig später
von der Haide heim kam, als gewöhnlich--und der Bube wußte und
kannte diese Liebe sehr wohl, wenn sie sich auch nicht äußerte.
Von solchen Eltern hatte er keinen Widerstand zu erfahren, als er den
Entschluß aussprach, in die Welt zu gehen, weil er durch aus nicht
mehr zu Hause zu bleiben vermöge. Ja, der Vater hatte schon seit
langem wahrgenommen, wie der Knabe sich in Einbildungen und
Dingen abquäle, die ihm selber von Kindheit an nie gekommen waren;
er hielt sie deßhalb für Geburten der Haideeinsamkeit, und sann auf
deren Abhilfe. Die Mutter hatte zwar nichts Seltsames an ihrem Sohne
bemerkt, weil eigentlich ohnehin ihr Herz in dem seinen schlug; allein
sie willigte doch in seine Abreise aus einem dunklen Instinkte, daß er
da ausführe, was ihm Noth thue.
Noch e i n e Person mußte gefragt werden, nicht von den Eltern,
sondern von ihm: die G r o ß m u t t e r. Er liebte sie zwar nicht so wie
die Mutter, sondern ehrte und scheute sie vielmehr; aber sie war es
auch gewesen, aus der er die Anfänge jener Fäden zog, aus welchen er
vorerst seine Haidefreuden webte, dann sein Herz und sein ganzes
zukünftiges Schicksal. Weit über die Grenze des menschlichen Lebens
schon hinausgeschritten saß sie, wie ein Schemen hinten am Hause im
Garten an der Sonne, ewig einsam und ewig allein in der Gesellschaft
ihrer Todten, und zurückspinnend an ihrer innern ewig langen
Geschichte. Aber so wie sie dasaß, war sie nicht das gewöhnliche Bild
unheimlichen Hochalters, sondern wenn sie oft plötzlich ein oder das
andere ihrer innern Geschöpfe anredete, als ein lebendes und vor ihr
wandelndes; oder, wenn sie sanft lächelte, oder betete, oder mit sich
selbst redete, wundersam spielend in Blödsinn und Dichtung, in
Unverstand und Geistesfülle: so zeigte sie gleichsam, wie eine
mächtige Ruine, rückwärts auf ein denkwürdiges Dasein. Ja, der
Menschenkenner, wenn hier je einer hergekommen wäre, würde aus
den wenigen Blitzen, die noch gelegentlich auffuhren, leicht erkannt
haben, daß hier eine Dichtungsfülle ganz ungewöhnlicher Art
vorübergelebt worden war, ungekannt von der Umgebung, ungekannt
von der Besitzerin, vorübergelebt in dem schlechten Gefäße eines
Haidebauerweibes. Ihre gemüthreiche Tochter, die Mutter des Knaben,
war nur ein schwaches Abbild derselben. Das alte Weib hatte in ihrem
ganzen Leben voll harter Arbeiten nur ein einziges Buch gelesen, die
Bibel; aber in diesem Buche las und dichtete sie siebenzig Jahre. Jetzt
that sie es zwar nicht mehr, verlangte auch nicht mehr, daß man ihr
vorlese; aber ganze Prophetenstellen sagte sie oft laut her, und in ihrem
Wesen war Art und Weise jenes Buches ausgeprägt, so daß selbst
zuletzt ihre gewöhnliche Redeweise etwas Fremdes und gleichsam
Morgenländisches zeigte. Dem Knaben erzählte sie die heiligen
Geschichten. Da saß er nun oft an Sonntagnachmittagen gekauert [60]
an dem Hollunderstrauch--und wenn die Wunder, und die Helden
kamen, und die fürchterlichen Schlachten, und die Gottesgerichte--und
wenn sich dann die Großmutter in die Begeisterung geredet, [61] und
der alte Geist die Ohnmacht seines Körpers überwunden hatte--und
wenn sie nun anfing, zurückgesunken in die Tage ihrer Jugend, mit
dem welken Munde zärtlich und schwärmerisch zu reden, mit einem
Wesen, das er nicht sah, und in Worten, die er nicht verstand, aber tief
ergriffen instinktmäßig nachfühlte, und wenn sie um sich alle Helden
der Erzählung versammelte, und ihre eigenen Verstorbenen einmischte,
und nun alles durcheinander reden ließ: da grauete er sich innerlich
entsetzlich ab, [62] und um so mehr, wenn er sie gar nicht mehr
verstand--allein er schloß alle Thore seiner Seele weit auf, und ließ den
fantastischen Zug [63] eingehen, und nahm des andern Tages das ganze
Getümmel mit auf die Haide, wo er Alles wieder nachspielte.
Dieser Großmutter nun wollte er sein Vorhaben deuten, damit sie ihn
nicht eines Tages zufällig vermisse, und sich innerlich kränke, als sei er
gestorben.
Und so--an einem frühen Morgen stand er neben den Eltern reisefertig
vor der Thür, sein dürftig Linnenkleid an, den breiten Hut auf dem
Haupte, den Wacholderstab in der Hand, umgehängt den Haidesack, in
welchem zwei Hemden waren und Käse und Brot. Eingenäht in die
Brusttasche hatte er das wenige Geld, welches das Haus vermochte.
Die Großmutter, immer die erste wach, knieete bereits nach ihrer Sitte
inmitten der Wiese an ihrem Holzschemel, den sie dahin getragen, und
betete. Der Knabe warf einen Blick auf den Haiderand, welcher
schwarz den lichten Himmel schnitt--dann trat er zu
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