Das Haidedorf | Page 4

Adalbert Stifter
daß hier ein gewaltiges Reich entstehe, das
Niemand überwinden kann, als Cyrus, der morgen oder übermorgen
kommen werde, den gottlosen König Balsazar zu züchtigen, wie es ja
Daniel längst vorher gesagt hat.
Oder er grub den Jordan ab, d. i. den Bach, der von der Quelle floß, und
leitete ihn anderer Wege--oder er that das alles nicht, sondern entschlief
auf der offenen Fläche, und ließ über sich einen bunten Teppich der
Träume weben. Die Sonne sah ihn an, und lockte auf die
schlummernden Wangen eine Röthe, so schön und so gesund, wie an
gezeitigten Aepfeln, oder so reif, und kräftig, wie an der Lichtseite
vollkörniger Haselnüsse, und wenn sie endlich gar die hellen großen
Tropfen auf seine Stirne gezogen hatte, dann erbarmte ihr der Knabe
[53] und sie weckte ihn mit einem heißen Kusse.
So lebte er nun manchen Tag und manches Jahr auf der Haide, und
wurde größer und stärker, und in das Herz kamen tiefere, dunklere und
stillere Gewalten, und es ward ihm wehe und sehnsüchtig--und er
wußte nicht, wie ihm geschah. Seine Erziehung hatte er vollendet, und
was die Haide geben konnte, das hatte sie gegeben; der reife Geist
schmachtete nun nach seinem Brote, dem W i s s e n, und das Herz
nach seinem Weine, der L i e b e. Sein Auge ging über die fernen
Duftstreifen des Moores, und noch weiter hinaus; als müsse dort
draußen etwas sein was ihm fehle, und als müsse er eines Tages seine
Lenden gürten, den Stab nehmen, und weit, weit von seiner Heerde
gehen.
Die Wiese, die Blumen, das Feld und seine Aehren, der Wald und seine
unschuldigen Thierchen sind die ersten und natürlichsten Gespielen
und Erzieher des Kinderherzens. Ueberlaß den kleinen Engel nur
seinem eigenen innern Gotte, und halte bloß die Dämonen ferne, und er
wird sich wunderbar erziehen und vorbereiten. Dann, wenn das
fruchtbare Herz hungert nach Wissen und Gefühlen, dann schließ ihm
die Größe der Welt, des Menschen und Gottes auf.
Und somit laßt uns Abschied nehmen von dem Knaben auf der Haide.

II.
Das Haidehaus.
Eine gute Wegestunde von dem Roßberge stand ein Haus, oder
vielmehr eine weitläufige Hütte. Sie stand am Rande der Haide weit ab
jeder Straße menschlichen Verkehres; sie stand ganz allein, und das
Land um sie war selber wieder eine Haide, nur anders, als die, auf der
der Knabe die Ziegen hütete. Das Haus war ganz aus Holz, faßte zwei
Stuben und ein Hinterstübchen, alles mit mächtigen braunschwarzen
Tragebalken, daran manch Festkrüglein hing, mit schönen
Trinksprüchen [54] bemalt. Die Fenster, licht und geräumig, sahen auf
die Haide, und das Haus war umgeben von dem Stalle, Schuppen [55]
und der Scheune. Es war auch ein Gärtlein vor demselben, worin
Gemüse wuchs, ein Hollunderstrauch und ein alter Apfelbaum
stand--weiter ab waren noch drei Kirschbäume, und unansehnliche
Pflaumengesträuche. Ein Brunnen floß vor dem Hause, kühl, aber
sparsam; er floß von dem hohen starken Holzschafte in eine Kufe
nieder, die aus einem einzigen Haidestein gehauen war.
In diesem Hause war es sehr einsam geworden; es wohnten nur ein
alter Vater und eine alte Mutter darinnen, und eine noch ältere
Großmutter--und Alle waren sie traurig; denn er war fortgezogen, weit
in die Fremde, der das Haus mit seiner jugendlichen Gestalt belebt
hatte, und der die Freude Aller war. Freilich spielte noch ein kleines
Schwesterlein an der Thürschwelle, aber sie war noch gar zu klein, und
war noch zu thöricht; denn sie fragte ewig, wann der Bruder Felix
wieder kommen werde. Weil der Vater Feld und Wiese besorgen mußte,
so war ein anderer Ziegenknabe genommen worden; allein dieser legte
auf der Haide Vogelschlingen, trieb immer sehr früh nach Hause, [56]
und schlief gleich nach dem Abendessen ein. Alle Wesen auf der Haide
trauerten um den schönen lockigen Knaben, der von ihnen fortgezogen.
Es war ein traurig schöner Tag gewesen, an dem er fortgegangen war.
Sein Vater war ein verständig stiller Mann, der ihm nie ein Scheltwort
gegeben hatte, und seine Mutter liebte ihn, wie ihren Augapfel;--und

aus i h r e m Herzen, dem er oft und gerne lauschte, sog er jene
Weichheit und Fantasiefülle, die sie hatte, aber zu nichts verwenden
konnte, als zu lauter Liebe für ihren Sohn. Den Vater ehrte sie als den
Oberherrn, der sich Tag und Nacht so plagen müsse, um den Unterhalt
herbeizuschaffen, da die Haide karg war, und nur gegen große Mühe
sparsame Früchte trug, und oft die nicht, wenn Gott ein heißes Jahr
über dieselbe herabsandte. Darum lebten sie in einer friedsamen Ehe,
und liebten sich pflichtgetreu von Herzen, und standen einander in
Noth und Kummer bei. Der Knabe kannte daher nie den giftigen
Mehlthau für Kinderherzen, Hader und Zank, außer, wenn ein stößiger
Bock [57] Irrsal stiftete, [58] den er aber immer mit tüchtigen Püffen
seiner Faust zu Paaren trieb, [59] was das böseste Thier von ihm, und
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