Das Haidedorf | Page 3

Adalbert Stifter
ihm aufflog,
und sich wieder hinsetzte, wenn er eben seine Gebiete durchreiste--da
waren dessen unzählbare Vettern, die größern und kleinern
Heuschrecken, in mißfarbiges Grün gekleidete Heiduken, [37] lustig
und rastlos zirpend [38] und schleifend, [39] daß an Sonnentagen ein
zitterndes Gesinge [40] längs der ganzen Haide war,--dann waren die

Schnecken mit und ohne Häuser, braune und gestreifte, gewölbte und
platte, und sie zogen silberne Straßen über das Haidegras, oder über
seinen Filzhut, auf den er sie gerne setzte--dann die Fliegen, summende,
singende, piepende, blaue, grüne, glasflüglige--dann die Hummel, die
schläfrig vorbeiläutete [41]--die Schmetterlinge, besonders ein kleiner
mit himmelblauen Flügeln, auf der Kehrseite [42] silbergrau mit gar
anmuthigen Aeuglein, dann noch ein kleinerer mit Flügeln, wie eitel
[43] Abendröthe--dann endlich war die Ammer, und sang an vielen
Stellen; die Goldammer, das Rotkehlchen, die Haidelerche, daß von ihr
oft der ganze Himmel voll Kirchenmusik hing; der Distelfink, die
Grasmücke, der Kibitz, und andere und wieder andere. Alle ihre Nester
lagen in seiner Monarchie, und wurden ausgesucht und beschützt. Auch
manch rothes Feldmäuschen sah er schlüpfen [44] und schonte sein,
wenn es plötzlich stille hielt, und ihn mit den glänzenden
erschrockenen Aeuglein ansah. Von Wölfen oder andern gefährlichen
Bösewichtern war seit Urzeiten [45] aller seiner Vorfahren keiner erlebt
worden, [46] manches eiersaufende [47] Wiesel ausgenommen, das er
aber mit Feuer und Schwert verfolgte.
Inmitten all dieser Herrlichkeiten stand er, oder ging, oder sprang, oder
saß er--ein herrlicher Sohn der Haide: aus dem tiefbraunen Gesichtchen
voll Güte und Klugheit leuchteten in blitzendem, unbewußtem Glanze
die pechschwarzen Augen, voll Liebe und Kühnheit, und reichlich
zeigend jenes gefahrvolle Element, was ihm geworden [48] und in der
Haideeinsamkeit zu sprossen begann, eine dunkle glutensprühige
Fantasie. Um die Stirne war eine Wildniß dunkelbrauner Haare,
kunstlos den Winden der Fläche hingegeben. Wenn es mir erlaubt wäre,
so würde ich meinen Liebling vergleich en mit jenem Hirtenknaben aus
den heiligen Büchern, der auch auf der Haide vor Bethlehem sein Herz
fand, und seinen Gott, und die Träume der künftigen Königsgröße.
Aber so ganz arm, wie unser kleiner Freund, war jener Hirtenknabe
gewiß nicht; denn des ganzen lieben Tages Länge hatte er nichts, als
ein tüchtig Stück schwarzen Brotes, wovon er unbegreiflicher Weise
[49] seinen blühenden Körper und den noch blühendern Geist nährte,
und ein klares kühles Wasser, das unweit des Roßberges vorquoll, [50]
ein Brünnlein füllte, und dann flink längs der Haide forteilte, um mit
andern Schwestern vereint jenem fernen Moore zuzugehen, dessen wir

oben gedachten. Zu g u t e n Zeiten waren auch ein oder zwei
Ziegenkäse in der Tasche. Aber ein Nahrungsmittel hatte er in einer
Güte und Fülle, wie es der überreichste Städter nicht aufweisen kann,
einen ganzen Ozean der heilsamsten Luft u m sich, und eine Farbe und
Gesundheit reifende Lichthülle ü b e r sich. Abends, wenn er heim kam,
wohin er sehr weit hatte, kochte ihm die Mutter eine Milchsuppe, oder
einen köstlichen Brei aus Hirse. [51] Sein Kleid war ein
halbgebleichtes Linnen. Weiter hatte er noch einen breiten Filzhut, den
er aber selten aufthat, sondern meistens in seinem Schlosse an einen
Holznagel hing, der er in die Felsenritze geschlagen hatte.
Dennoch war er stets lustig, und wußte sich oft nicht zu halten vor
Frohsinn. Von seinem Königssitze aus herrschte er über die Haide.
Theils durchzog er sie weit und breit, theils saß er hoch oben auf der
Platte oder Rednerbühne, und so weit das Auge gehen konnte, so weit
ging die Fantasie mit, oder sie ging noch weiter, und überspann die
ganze Fernsicht mit einem Fadennetze von Gedanken und
Einbildungen, und je länger er saß, desto dichter kamen sie, so daß er
oft am Ende selbst ohnmächtig unter dem Netze steckte. Furcht der
Einsamkeit kannte er nicht; ja, wenn recht weit und breit kein
menschliches Wesen zu erspähen war, und nichts, als die heiße
Mittagsluft längs der ganzen Haide zitterte, dann kam erst recht das
ganze Gewimmel seiner innern Gestalten daher; [52] und bevölkerte
die Haide. Nicht selten stieg er dann auf die Steinplatte, und hielt sofort
eine Predigt und Rede--unten standen die Könige und Richter, und das
Volk und die Heerführer, und Kinder und Kindeskinder, zahlreich, wie
der Sand am Meere; er predigte Buße und Bekehrung--und Alle
lauschten auf ihn; er beschrieb ihnen das gelobte Land, verhieß, daß sie
Heldenthaten thun würden, und wünschte zuletzt nichts sehnlicher, als
daß er auch noch ein Wunder zu wirken vermöchte. Dann stieg er
hernieder und führte sie an, in die fernsten und entlegensten Theile der
Haide, wohin er wohl eine Viertelstunde zu gehen hatte--zeigte ihnen
nun das ganze Land der Väter, und nahm es ein mit der Schärfe des
Schwertes. Dann wurde es unter die Stämme ausgetheilt, und jedem das
Seinige zur Vertheidigung angewiesen.
Oder er baute Babilon, eine furchtbare und weitläufige Stadt--er baute

sie aus den kleinen Steinen des Roßberges, und verkündete den
Heuschrecken und Käfern,
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