Abende waren
herrlich friedlich. Wenn er dann allerdings in der Nacht nach
Hause kam, konnte es wieder ein Unglück geben. Er hatte
meistens etwas getrunken. Irgendeine Kleinigkeit dann, und
er rastete total aus. Es konnten Spielsachen oder Kleidungs-
stücke sein, die unordentlich rumlagen. Mein Vater sagte
immer, Ordnung sei das Wichtigste im Leben. Und wenn er
nachts Unordnung sah, dann zerrte er mich aus dem Bett und
schlug mich. Meine kleine Schwester bekam anschließend
auch noch etwas ab. Dann warf mein Vater unsere Sachen auf
den Fußboden und befahl, in fünf Minuten wieder alles
ordentlich einzuräumen. Das schafften wir meistens nicht und
bekamen noch mal Kloppe.
Meine Mutter stand dabei meistens weinend in der Tür. Sie
wagte selten, uns zu verteidigen, weil er dann auch sie schlug.
Nur Ajax, meine Dogge, sprang oft dazwischen. Sie winselte
ganz hoch und hatte sehr traurige Augen, wenn in der Familie
geschlagen wurde. Sie brachte meinen Vater am ehesten zur
Vernunft, denn er liebte ja Hunde wie wir alle. Er hatte Ajax
mal angeschrien, aber nie geschlagen.
Trotzdem liebte und achtete ich meinen Vater irgendwie.
Ich dachte, er sei anderen Vätern haushoch überlegen. Aber
vor allem hatte ich Angst vor ihm. Dabei fand ich es ziemlich
normal, daß er so oft um sich schlug. Bei anderen Kindern in
der Gropiusstadt war es zu Hause nicht anders. Die hatten
sogar manchmal richtige Veilchen im Gesicht und ihre Mütter
auch. Es gab Väter, die lagen betrunken auf der Straße oder
auf dem Spielplatz rum. So schlimm betrank sich mein Vater
nie. Und es passierte in unserer Straße auch, daß Möbelstücke
aus den Hochhäusern auf die Straße flogen, Frauen um Hilfe
schrien und die Polizei kam. So schlimm war es bei uns also
nicht.
Mein Vater machte meine Mutter ständig an, sie gäbe zu
viel Geld aus. Dabei verdiente sie ja das Geld. Sie sagte ihm
dann manchmal auch, das meiste ginge für seine Sauftouren,
seine Frauen und das Auto drauf. Dann wurde der Krach
handgreiflich.
Das Auto, der Porsche, war wohl das, was mein Vater am
meisten liebte. Er wienerte ihn fast jeden Tag, wenn er nicht
gerade in der Werkstatt stand. Einen zweiten Porsche gab es
wohl nicht in der Gropiusstadt. Jedenfalls bestimmt keinen
Arbeitslosen mit Porsche.
Ich hatte natürlich damals keine Ahnung, was mit meinem
Vater los war, warum er ständig regelrecht ausrastete. Mir
dämmerte es erst später, als ich mich auch mit meiner Mutter
häufiger über meinen Vater unterhielt. Allmählich habe ich
einiges durchschaut. Er packte es einfach nicht. Er wollte
immer wieder hoch hinaus und fiel jedesmal auf den Arsch.
Sein Vater verachtete ihn deshalb. Opa hatte schon meine
Mutter vor der Ehe mit dem Taugenichts gewarnt. Mein Opa
hatte eben immer große Pläne mit meinem Vater gehabt. Die
Familie sollte wieder so toll dastehen wie früher, bevor ihr in
der DDR der ganze Besitz enteignet wurde.
Wenn er meine Mutter nicht getroffen hätte, wäre er
vielleicht Gutsverwalter geworden und hätte seine eigene
Doggenzucht gehabt. Er lernte gerade Gutsverwalter, als er
meine Mutter traf. Sie wurde schwanger mit mir, er brach
seine Lehre ab und heiratete sie. Irgendwann muß er dann auf
die Idee gekommen sein, daß meine Mutter und ich schuld an
seinem Elend seien. Von all seinen Träumen war ihm nur
sein Porsche geblieben und ein paar aufschneiderische
Freunde.
Er haßte die Familie nicht nur, er lehnte sie einfach total ab.
Das ging so weit, daß keiner seiner Freunde wissen durfte, daß
er verheiratet war und Kinder hatte. Wenn wir Freunde von
ihm trafen oder wenn ihn Bekannte zu Hause abholten, mußte
ich ihn immer mit »Onkel Richard« anreden. Ich war mit
Schlägen so darauf programmiert, daß ich da niemals einen
Fehler machte. Sobald andere Leute da waren, war er für mich
der Onkel.
Mit meiner Mutter war das nicht anders. Sie durfte vor
seinen Freunden nie sagen, daß sie seine Frau war und vor
allem sich nicht so verhalten wie seine Frau. Ich glaube, er gab
sie immer als seine Schwester aus.
Die Freunde meines Vaters waren jünger als er. Sie hatten
das Leben noch vor sich, jedenfalls meinten sie das sicher.
Mein Vater wollte einer von ihnen sein. Einer, für den alles
erst anfing. Und keiner, der sich schon eine Familie aufgehalst
hatte, die er nicht mal ernähren konnte. So etwa war das mit
meinem Vater.
Ich hatte im Alter von sechs bis acht natürlich überhaupt
keinen Durchblick. Mein Vater bestätigte mir nur die Lebens-
regel, die ich schon auf der Straße und in der Schule lernte:
Schlagen oder geschlagen werden. Meine Mutter, die in ihrem
Leben genug Prügel bekommen hatte, war zu derselben
Erkenntnis gekommen. Immer wieder bleute sie mir ein:
»Fang niemals an. Aber wenn dir jemand was tut, hau zurück.
So doll und solange du kannst.« Sie selber konnte ja nicht
mehr zurückschlagen.
Ich lernte das Spiel
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