Macht zu zeigen.
Die Schwächsten kriegten die meisten Prügel. Meine kleine
Schwester war nicht sehr robust und ein bißchen ängstlich. Sie
wurde ständig vertrimmt, und ich konnte ihr nicht helfen.
Ich kam zur Schule. Ich hatte mich auf die Schule gefreut.
Meine Eltern hatten mir gesagt, daß ich mich da immer gut
benehmen müsse und zu tun hätte, was der Lehrer sagt. Ich
fand das selbstverständlich. Auf dem Dorf hatten wir Kinder
Respekt vor jedem Erwachsenen. Und ich glaube, ich freute
mich, daß nun in der Schule ein Lehrer sein würde, dem auch
die anderen Kinder gehorchen mußten.
Aber es war ganz anders in der Schule. Schon nach ein paar
Tagen liefen Kinder während des Unterrichts in der Klasse
herum und spielten Kriegen. Unsere Lehrerin war völlig
hilflos. Sie schrie immer »hinsetzen«. Aber dann tobten die
nur noch doller, und die anderen lachten.
Ich habe Tiere schon als ganz kleines Kind geliebt. In
unserer Familie waren alle wahnsinnig tierlieb. Deshalb war
ich stolz auf unsere Familie. Ich kannte keine Familie, die so
tierlieb war. Und mir taten die Kinder leid, deren Eltern keine
Tiere mochten und die auch keine Tiere geschenkt bekamen.
Unsere Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung wurde mit der Zeit
ein kleiner Zoo. Ich hatte später vier Mäuse, zwei Katzen,
zwei Kaninchen, einen Wellensittich und Ajax, unsere braune
Dogge, die wir schon nach Berlin mitgebracht hatten.
Ajax schlief immer neben meinem Bett. Ich ließ beim
Einschlafen einen Arm aus dem Bett baumeln, um ihn zu
spüren.
Ich fand andere Kinder, die auch Hunde hatten. Mit denen
verstand ich mich ganz gut. Ich entdeckte, daß außerhalb von
Gropiusstadt, in Rudow, noch richtige Reste von Natur
waren. Da fuhren wir dann mit unseren Hunden hin. Wir
spielten auf den alten Müllkippen in Rudow, die mit Erde
zugeschüttet worden waren. Unsere Hunde spielten imifter
mit. »Spürhund« war unser Lieblingsspiel. Einer versteckte
sich, während sein Hund festgehalten wurde. Dann mußte der
Hund ihn suchen. Mein Ajax hatte die beste Nase.
Die anderen Tiere nahm ich manchmal mit in die Sandkiste
und sogar in die Schule. Unsere Lehrerin benutzte sie als
Anschauungsmaterial im Biologieunterricht. Einige Lehrer
erlaubten auch, daß Ajax während des Unterrichts bei mir
war. Er störte nie. Bis zum Pausenklingeln lag er bewegungs-
los neben meinem Platz.
Ich wäre ganz glücklich mit meinen Tieren gewesen, wenn
es mit meinem Vater nicht immer schlimmer geworden wäre.
Während meine Mutter arbeitete, saß er zu Hause. Mit der
Ehevermittlung war es ja nichts geworden. Nun wartete mein
Vater auf einen anderen Job, der ihm gefiel. Er saß auf dem
abgeschabten Sofa und wartete. Und seine irrsinnigen Wui-
ausbrüche wurden immer häufiger.
Schularbeiten machte meine Mutter mit mir, wenn sie von
der Arbeit kam. Ich hatte eine Zeitlang Schwierigkeiten, die
Buchstaben H und K auseinanderzuhalten. Meine Mutter
erklärte mir das eines Abends mit einer Affengeduld. Ich
konnte aber kaum zuhören, weil ich merkte, wie mein Vater
immer wütender wurde. Ich wußte immer, wann es gleich
passierte: Er holte den Handfeger aus der Küche und drosch
auf mir rum. Dann sollte ich ihm den Unterschied von H und
K erklären. Ich schnallte natürlich überhaupt nichts mehr,
bekam noch einmal den Arsch voll und mußte ins Bett.
Das war seine Art, mit mir Schularbeiten zu machen. Er
wollte, daß ich tüchtig bin und was Besseres werde. Schließlich
hatte sein Großvater noch unheimlich Kohle gehabt. Ihm
gehörte in Ostdeutschland sogar eine Druckerei und eine
Zeitung, unter anderem. Nach dem Krieg war das in der DDR
alles enteignet worden. Nun flippte mein Vater aus, wenn er
glaubte, ich würde in der Schule was nicht schaffen.
Da gab es Abende, die ich noch in allen Einzelheiten
erinnere. Einmal sollte ich ins Rechenheft Häuser malen. Die
sollten sechs Kästchen breit und vier Kästchen hoch sein. Ich
hatte ein Haus schon fertig und wußte genau, wie es ging, als
mein Vater sich plötzlich neben mich setzte. Er fragte, von wo
bis wo das nächste Häuschen gezeichnet werden müsse. Vor
lauter Angst zählte ich die Kästchen nicht mehr, sondern fing
an zu raten. Immer, wenn ich auf ein falsches Kästchen zeigte,
bekam ich eine geklebt. Als ich nur noch heulte und über-
haupt keine Antworten mehr geben konnte, da ging er zum
Gummibaum. Ich wußte schon, was das bedeutete. Er zog den
Bambusstock, der den Gummibaum hielt, aus dem Blumen-
topf. Dann drosch er mit dem Bambusstock auf meinen
Hintern, bis man buchstäblich die Haut abziehen konnte.
Meine Angst fing schon beim Essen an. Wenn ich kleckerte,
hatte ich ein Ding weg. Wenn ich etwas umstieß, versohlte er
mir den Hintern. Ich wagte kaum noch, mein Milchglas zu
berühren. Vor lauter Angst passierte mir dann bei fast jedem
Essen irgendein Unglück.
Abends fragte ich meinen Vater immer ganz lieb, ob er
nicht wegginge. Er ging ziemlich oft weg, und wir drei Frauen
atmeten dann erst einmal tief durch. Diese
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.