Charaktere und Schicksale | Page 8

Hermann Heiberg
daß die
Verlobung zurückgegangen sei.--Der Himmel wird's dir nicht
anrechnen!"
"Ja, ich kann's, und ich hoffe auf seine Nachsicht, aber ich werde es,
wenn auch alles gut verläuft, schwer überwinden, mich mit einer
Unwahrheit eingeführt zu haben. Ich schäme mich vor mir selbst. Es
liegt wie ein Makel auf mir!"
"Es giebt größere Vergehen, mein Junge! Mehr werden täglich

Unwahrheiten gesprochen, als sich Riegel auf den Dächern befinden,
und die Welt hebt sich doch nicht aus den Angeln.
"Dich entlasten die Umstände: du handelst im Zwang--um den
Wirkungen einer Infamie zu begegnen. Giebt's denn gar kein Mittel,
Frau von Krätz zu besänftigen! Das heißt, wenn sie es wirklich ist.
Hältst du es für ausgemacht, daß sie die Briefschreiberin?"
"Wer könnte es sonst sein, Mama. Alles deutet darauf hin. Sie hat es
mir nicht verziehen, daß ich mich noch kurz vor der Verlobung mit ihr
besonnen. Sie rächt sich mit der Unversöhnlichkeit einer Frau, und
scheut selbst solche Mittel der Vergeltung nicht. Natürlich, absolute
Beweise habe ich für meine Annahme nicht. Wenn ich die hätte, würde
ich schon lange gehandelt haben. Und eben, ihr nicht beikommen zu
können, ist das schlimmste von allem Unglück."
Klamm ballte die Hände, und seine Augen funkelten.
Noch einmal sprach die erfahrene Frau besänftigend auf ihren Sohn ein.
Dann sagte sie:
"Noch etwas, Alfred! Ich habe noch die Ringe und den Schmuck von
meiner Mutter. Nimm heute alles mit und veräußere es. Das giebt uns
Lebensunterhalt für die nächste Zeit!
"Du kannst dann auch deine Hotelwohnung beibehalten und dich in der
Gesellschaft bewegen, bis dir deine Pläne bei Herrn Knoop gelingen."
"Wie? Du bist noch in Besitz von Schmuck, Mama!? Das ist ja eine
ausrichtende Nachricht--du sagtest es mir nicht."
"Ich that's nicht, um dir's vorzuenthalten, sondern für den alleräußersten
Fall."
Sie sprach's mit liebevollem Blick, und er küßte sie. Dann besah er den
Inhalt des kleinen Kästchens, das sie aus der Kommode hervorholte.
Bevor Klamm von seiner Mutter Abschied nahm, sagte sie:

"Es ist eigentlich verkehrt, daß wir nicht zusammen wohnen, Alfred.
Könntest du nicht ein Logis für uns beide dort mieten? Hier unter
diesen Menschen ist's nicht angenehm! Meine Wirtin ist neugierig und
zudringlich, die übrige Umgebung stößt mich sehr ab."
"Ich nahm nur erstmal, was sich bot, Mama. Alle Wohnungen in den
besseren Vierteln kosten das Dreifache."
"Ich blieb nur im Hotel, weil ich dem Wirt noch verschuldet bin.--Ich
mußte und muß dort vorläufig wohnen! Ich will indessen heute mit
dem Besitzer sprechen. Vielleicht läßt sich deine Uebersiedelung
machen. Ich würde nur zu glücklich sein, dich bei mir zu haben.
Vielleicht gelingen auch meine Pläne bei Herrn Knoop rascher, als ich
annehme. Habe ich erst ein festes Einkommen, miete ich für uns eine
Wohnung im Westen.
"Ach, Mama--wäre ich erst so weit, wie anders würde mir zu Mute
sein!"
Nach diesen Worten schlang der Mann seinen Arm um die Gestalt der
zartgebauten Dame, versprach am folgenden Tage wiederzukommen
und stieg eilend die Treppe herab.
* * * * *
Als am folgenden Vormittag Fräulein von Oderkranz mit ihrer Nichte
im Vorraum des Privatkontors des Herrn Knoop eintrat, glich dieses,
bezüglich der Fülle der Wartenden, dem Sprechzimmer eines
vielbeschäftigten Arztes. Alle Plätze waren besetzt, und Adolf mußte
Sessel aus dem Hauptkontor holen, damit wenigstens die Damen nicht
zu stehen brauchten. Als sie nach einstündigem Warten endlich
vorgelassen wurden, entschuldigte sich Herr Knoop, seiner Art nach,
mit kurzen, knappen Worten, und die Unterredung nahm auch bald die
Wendung, daß er der jungen Dame seine Absicht aussprach, sie für
seine Tochter Margarete zu verpflichten.
"Natürlich setze ich voraus, daß Sie sich gegenseitig gefallen, und um
dieses festzustellen, erlaube ich mir den Vorschlag, daß Sie uns den

heutigen Tag schenken. Am Abend lasse ich Sie dann in meinem
Wagen nach Hause fahren," schloß der Chef des Hauses.
Nach diesen Worten richtete Herr Knoop einen auffordernden Blick auf
die beiden Damen, dem Fräulein Ileisa auch mit gehobener Miene
begegnete, während bei ihrer Tante eine deutliche Enttäuschung
darüber hervortrat, daß nicht auch an sie eine solche Einladung
gerichtet wurde.
Wenigstens deutete Herr Knoop in solcher Weise den spröden
Ausdruck in den Gesichtszügen des Fräulein von Oderkranz.
Es drängte sich ihm auch gleich der Gedanke auf, daß die alte Dame
möglicherweise später mit allerlei sehr wenig bequemen Ansprüchen
lästig fallen könne, und er nahm deshalb gleich das Wort und sagte:
"Ich hoffe, mein Fräulein, daß Sie meinem Vorschlag zustimmen.
Ueberhaupt darf ich gleich bemerken, daß ich bei einem Inkrafttreten
unserer Pläne voraussetzen muß, daß unsere künftige Hausgenossin
ihre bisherigen Beziehungen in dem Sinne löst, daß sie lediglich zu uns
hält. Mit ihrem Eintritt in unser Haus haben wir nur mehr mit ihr zu
thun. Natürlich schließt das gelegentliche Besuche bei Ihnen nicht aus!"
Diese Rede war so deutlich und enttäuschend, daß Fräulein von
Oderkranz zunächst erbleichte und unwillkürlich die Augen schloß.
Dennoch faßte
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