Charaktere und Schicksale | Page 5

Hermann Heiberg
mein
Privatsekretär. Als solcher hat er sich seiner Aufgaben in vorzüglichster
Weise entledigt, und kann ich Herrn von Klamm als eine durchaus
vertrauenswürdige, in jeder Beziehung tadellose Persönlichkeit aufs
Wärmste empfehlen.
Meine besten Wünsche für sein Wohlergehen begleiten ihn.
Fürst Alexander von Kroy."
"Und weshalb trennten Sie sich von dem Fürsten, wenn die Frage
erlaubt ist, Herr Baron?" warf Herr Knoop hin, während er mit einer
verbindlichen Geste das Schriftstück in die Hände Herrn von Klamms
zurücklegte.
"Ich wünschte den Fürsten zu verlassen, weil ich mich verlobt und den
Besitz meiner Braut mit Zustimmung meiner Schwiegereltern selbst zu
verwalten die Absicht hatte."
"Hm.--Und das hat sich nicht nach Ihren Voraussetzungen vollzogen?"
"Nein! Meine Braut starb kurz vor der Hochzeit. Inzwischen war die
Stellung anderweitig besetzt, und überdies--ich habe mich neuerdings
wieder verlobt, und warte nur des Augenblicks, heiraten zu

können--paßte dann das alles nicht mehr zusammen."
Herr Knoop bewegte nach diesen Worten den Kopf mit der Miene einer
Person, die einer Rede mit großem Interesse zugehört hat und sich
durch ihren Inhalt durchaus befriedigt fühlt.
Dann sagte er:
"Glauben Sie zu wissen, wenn ich fragen darf, wer den anonymen Brief
geschrieben hat, Herr Baron? Ich komme darauf zurück, weil Sie das
Eintreffen eines solchen schon voraussetzten!"
"Gewiß! Allerdings, Herr Knoop! Ich vermute, daß die Urheberin
dieser und ähnlicher Verdächtigungen, mit denen ich seit Jahresfrist
verfolgt werde, eine jetzt in Dresden lebende Dame der vornehmen
Gesellschaft ist, der ich den Hof machte, von der ich mich aber
zurückzog, weil ich ihren Charakter zur rechten Zeit durchschaute.
Seitdem übt sie diese Infamien gegen mich mit einer vollendeten
Geschicklichkeit aus, weiß mich, wo ich mich befinde, mit ihren
Kundschaftern zu umstellen, und Personen, zu denen ich in Beziehung
trat oder treten will, vor mir zu warnen."
"Hm! So! Das ist ja eine sehr fatale Sache. Und dann noch gegen
solche Bosheiten wehrlos zu sein! Ich bedaure Sie aufrichtig, Herr von
Klamm. Das muß ja eine ganz miserable Person sein, die fortgesetzt an
einem Nebenmenschen--es sei vorgefallen was will--derart Rache übt.
Ich habe kein Verständnis für solche Charaktere--"
"Und doch sind sie weit verbreiteter, als man glaubt. Man begreift
bisweilen nicht, weshalb Personen plötzlich eine andere Haltung
annehmen. Man schiebt ihnen, wenn keine Erklärungen erfolgen,
Launen zu. In Wirklichkeit hat irgend ein Mißgünstiger ein Minierwerk
begonnen, und mit Erfolg!--Ich bin überzeugt, daß es Leute giebt, die
aus purem Neid jahraus, jahrein, ohne Aufhören täglich an der
Untergrabung des Ansehens anderer arbeiten, die sich dabei noch weit
raffinierterer Mittel bedienen, als meine einstige Freundin. So geschickt
auch solche anonymen Briefe abgefaßt sind, der vornehm und der
einsichtsvoll Urteilende wird sie stets als ein Produkt niedriger Motive

betrachten, und sie in die Rumpelkammer werfen."
Herr Knoop pflichtete wiederum durch eine Kopfbewegung bei, dann
sagte er:
"Und Ihr Fräulein Braut, Herr Baron? Sie lebt auch in Dresden?"
"Ja, Herr Knoop! Sie bleibt dort, bis wir heiraten können--"
"Nun, jedenfalls bitte ich, meine beste Gratulation entgegen zu nehmen,
Herr von Klamm. Im übrigen! Wenn es Ihnen jetzt gefällig ist, mit mir
einen Gang durch mein Geschäft anzutreten? Nachdem konveniert
Ihnen vielleicht ein kleines Frühstück bei uns! Meine Frau und Tochter
werden sich über Ihren Besuch sehr freuen."
Baron von Klamm verbeugte sich mit kavaliermäßiger Höflichkeit.
"Ich danke verbindlichst, Herr Knoop. Sie kommen meinen Wünschen
zuvor! Ich wollte soeben auch diese Vergünstigung von Ihnen
erbitten--"
Zunächst betraten die Herren das Vorzimmer. Von dort nahmen sie den
Weg in die Setzersäle, und zwar zuerst in diejenigen, in welchen die
täglich in einer sehr starken Auflage erscheinende Tageszeitung
hergestellt wurde. Zahlreiche Arbeiter standen an Pulten mit kleinen
Kästen.
Herr von Klamm war erstaunt, mit welcher Fingerfertigkeit die Leute
arbeiteten, wie einige eifrig, ohne aufzusehen, oder wie andere, noch
Geschultere, gleichsam spielend, ihre Thätigkeit ausübten. Ferner
überraschte ihn, wie geschickt und exakt die Metteure, diejenigen, die
den fertigen Satz für die Druckpressen vorbereiteten, ihr Werk
handhabten.
Zwischen ihnen durch wandelte der Faktor, der Anweisungen erteilte,
den Setzern ein neues Manuskript überwies, oder, an sein Pult
zurückkehrend, das durch kleine Boten eben aus der Redaktion
herbeigebrachte Material zu gleichen Zwecken vorzubereiten begann.

Das war ein Bild emsigen Arbeitsfleißes!
"Im übrigen für die Beschäftigten ein sehr undankbares Geschäft, von
aller menschlichen Thätigkeit das undankbarste!" erörterte Herr Knoop,
während sie die oben belegenen, teils dem Zeitungssatz, teils den
Accidenzarbeiten dienenden Säle betraten.
"Sobald das von den Setzern mühsam geförderte Werk seine
Bestimmung in den Maschinen erfüllt hat, wird es wieder zerstört. Die
Buchstaben erhalten von neuem ihren Platz in den Schriftkästen, und
von neuem beginnt, was am Abend abermals aufgelöst wird."
"Und so fort und so fort, bis die Lettern durch den Druck der
Maschinen so abgenutzt sind, daß sie keine genügenden Dienste mehr
leisten können.
"Der Maschinist," ergänzte Herr Knoop, als sie nach geraumer Zeit
vermittelst Fahrstuhl zur Besichtigung der Druckpressen die
Souterrainräume erreicht und betreten hatten--"hat
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