Charaktere und Schicksale | Page 4

Hermann Heiberg

Auch sprach sie mit starker Betonung:
"Meine Nichte macht stets nur in meiner Begleitung Besuche bei
Herren. Sie ist so erzogen--"
"Gut denn--gu--ut denn!" bestätigte Herr Knoop, sich in die Wünsche
der Alten fügend, mit einem überlegenen Lächeln.
"Wenn Sie Furcht haben, es könne Ihrem Fräulein Nichte etwas
geschehen.--Oder--oder--jawohl--jawohl--daß es eben passender für
eine junge Dame ist--: Völlig einverstanden! Also um zehn Uhr oder
später, wie es Ihnen gefällt. Bis zwölf Uhr bin ich in meinem Kontor!"
So sprach Herr Knoop. Die Alte aber, die nichts erwidert hatte, wandte
sich während des Fortgehens noch einmal um, ergriff seine Hand und
sagte zartfühlend:
"Verzeihen Sie, wenn ich--wenn ich--Es war ja so nicht gemeint!--Und
nochmals innigsten Dank."
Dann ging sie. Herr Knoop aber trat, angenehm berührt, und zunächst
noch im Nachdenken über diesen Besuch, an seinen Schreibtisch.
Hier begab er sich an die Beantwortung verschiedener Geschäftsbriefe,
deren Erwiderungen er, bevor er sie in die Umschläge steckte, auch
noch auf einer auf einem Nebentisch stehenden Kopierpresse
eigenhändig abklatschte.
Inzwischen war die Zeit so weit vorgerückt, daß es von dem Turm der
nahegelegenen Kirche zwölf schlug, und fast in demselben Augenblick
erschien auch schon der in seiner dunkelblauen Dienerlivree mit den
silbernen Knöpfen steckende Adolf und überreichte Herrn Knoop mit
etwas zweifelnder Miene eine Visitenkarte.
"Soll ich ihm 'reinlassen oder jleich abweisen?" fügte er, während Herr

Knoop diese studierte, hinzu.
"Nein! Im Gegenteil! Ich werde ihm selbst öffnen, du kannst
inzwischen hinten fragen, ob etwas zu besorgen ist," erwiderte Herr
Knoop und entließ den, seinen dicken, mit den beringten Ohren
versehenen Kopf bewegenden Alten.
Nachdem er gegangen, zog Herr Knoop das anonyme Schreiben hervor
und ließ es,--weil er das Gefühl hatte, sicherlich einem sehr gewandten,
nicht leicht zu durchschauenden Weltmann
gegenüberstehen,--nochmals auf sich wirken.
Alsdann trat er Herr von Klamm gegenüber und nötigte ihn, mit artiger
Zuvorkommenheit, näher zu treten.
Herr von Klamm machte einen äußerst vorteilhaften Eindruck. Er besaß
bei einem angenehm gemessenen Wesen vollendete Manieren, und
verstärkt wurde noch das sich für ihn in Herrn Knoop regende Interesse,
als er nach Erledigung der Einleitungsworte eingehend über seine
Absichten sprach.
"Die Einrichtung Ihres Geschäfts kennen zu lernen, ist mir von
doppeltem Wert, sehr verehrter Herr Knoop. Es interessiert mich an
sich, und ich verbinde damit, offen gestanden, einen Zweck.
"Ich möchte unter Umständen den Versuch machen, in einem solchen
Unternehmen eine Thätigkeit zu finden. Erlauben Sie mir, Ihnen kurz
zu sagen, wer ich bin:
"Mein Vater besaß eine Gutsherrschaft in der Nähe von Bautzen. Diese
ging nach seinem Tode in den Besitz meiner Mutter über, die aus den
Erträgnissen eines aus der Verwertung desselben hervorgegangenen
Vermögens existiert.
"Ich wurde als junger Mensch von meinen Eltern in die Kadettenanstalt
in Dresden gethan, und bin sodann in Wien in österreichische
Militärdienste getreten. Nachdem ich wegen einer
Meinungsverschiedenheit mit meinem Vorgesetzten den Abschied

genommen, war ich in gleicher Eigenschaft als Soldat einige Jahre im
Ausland und habe mich, von dort zurückgekehrt, in den großen
europäischen Städten auf verschiedenen, mich interessierenden
Gebieten, namentlich auch schriftstellerisch und journalistisch versucht,
und bin endlich, nach längerem Aufenthalt in Wien und Dresden, hier
seit reichlich einem Jahre in dem mich besonders anziehenden Berlin
gestrandet.
"Gewiß, ich begreife, daß man Persönlichkeiten, die häufig in ihren
Lebensbeschäftigungen wechseln, ein gewisses Mißtrauen
entgegenträgt. Indessen hat mich stets ein ausgeprägter Sinn für alles
Wissenswerte geleitet, und ganz besondere Umstände führten die
eingetretenen Ortsveränderungen herbei.
"Auch darf ich der Wahrheit gemäß behaupten, daß ich, war ich auch
einmal leichtlebig, in allen ernsten und Ehrensachen stets äußerst genau
verfahren habe.
"Letzteres erwähne ich, weil ich Sie gegebenen Falles zu fragen mir
erlauben möchte, ob Sie mir nicht eine Thätigkeit in Ihrem
vielverzweigten Geschäft anweisen könnten.
"Ich führe--ich darf es behaupten--eine gewandte Feder!
"Und noch eins gleich! Sie haben vielleicht ein anonymes Schreiben
erhalten! Ich bitte, daß Sie mich es lesen lassen, um die
Verleumdungen zu widerlegen."
Herr Knoop hatte, wie erwähnt, dieser inhaltreichen, in einem
außerordentlich freimütigen Ton vorgetragenen Rede unter den
vorteilhaftesten Eindrücken zugehört.
Als Herr von Klamm aber den letzten Satz sprach, meldete sich ein
gewisses Mißtrauen. Sicher! Keiner, der Beste,--so überlegte Herr
Knoop--konnte sich vor Verdächtigungen schützen, aber die Wirkung
solcher konnte auf andere niemals eine günstige sein! Im übrigen
entsprach er dem Wunsch, den Baron Klamm geäußert hatte.

Während Baron Klamm das Schreiben prüfte, trat ein verächtlicher
Ausdruck in sein Antlitz. Dann sagte er, während er den Brief Herrn
Knoop mit kavaliermäßiger Artigkeit wieder überreichte:
"Ich danke Ihnen, und ich bitte, daß Sie die immer gleichlautende
Niederträchtigkeit in den Ofen werfen. Und hier!" fuhr er fort, zog ein
Schriftstück aus der Tasche und unterbreitete es Herrn Knoop.
"Ich bitte freundlichst, daß Sie dies Ihrer Beachtung würdigen."
Herr Knoop nahm das ihm Gebotene, entfaltete es und las die
nachstehenden Worte:
"Herr Alfred, Baron von Klamm-Gleichen, war, nachdem er den
überseeischen Dienst verlassen hatte, während einer längeren Zeit
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