jedes auf beide Wangen. Indes
wechselte Olivo ein paar Worte mit dem jungen Burschen, der das
Wägelchen mit den Kindern bis hierher gebracht hatte, worauf jener auf
das Pferd einhieb und die Landstraße in der Richtung nach Mantua
weiterfuhr.
Die Mädchen nahmen Olivo und Casanova gegenüber unter Lachen
und scherzhaftem Gezänk auf dem Rücksitz Platz; sie saßen eng
aneinandergedrängt, redeten alle zugleich, und da ihr Vater gleichfalls
zu sprechen nicht aufhörte, war es Casanova anfangs nicht leicht, ihren
Worten zu entnehmen, was sie alle einander eigentlich zu erzählen
hatten. Ein Name klang auf: der eines Leutnants Lorenzi; er sei, wie
Teresina berichtete, vor einer Weile an ihnen vorbeigeritten, habe für
den Abend seinen Besuch in Aussicht gestellt und lasse den Vater
schönstens grüßen. Ferner meldeten die Kinder, daß die Mutter anfangs
gleichfalls beabsichtigt hätte, dem Vater entgegenzufahren; aber in
Anbetracht der großen Hitze hatte sie's doch vorgezogen, daheim bei
Marcolina zu bleiben. Marcolina aber war noch in den Federn gelegen,
als man von Hause wegfuhr; und vom Garten aus durchs offne Fenster
hatten sie sie mit Beeren und Haselnüssen beworfen, sonst schliefe sie
wohl noch zu dieser Stunde.
»Das ist sonst nicht Marcolinens Art,« wandte sich Olivo an seinen
Gast; »meistens sitzt sie schon um sechs Uhr oder noch früher im
Garten und studiert bis zur Mittagszeit. Gestern freilich hatten wir
Gäste, und es dauerte etwas länger als gewöhnlich; auch ein kleines
Spielchen wurde gemacht, - nicht eins, wie es der Herr Chevalier
gewöhnt sein mögen - wir sind harmlose Leute und wollen einander
nicht das Geld abnehmen. Und da auch unser würdiger Abbate sich zu
beteiligen pflegt, so können Sie sich wohl denken, Herr Chevalier, daß
es nicht sehr sündhaft dabei zugeht.«
Als vom Abbate die Rede war, lachten die Mädchen und hatten
einander weiß Gott was zu erzählen, worüber es noch mehr zu lachen
gab als vorher. Casanova aber nickte nur zerstreut; in der Phantasie sah
er das Fräulein Marcolina, das er noch gar nicht kannte, in ihrem
weißen Bette liegend, dem Fenster gegenüber, die Decke
heruntergestreift, halb entblößten Leibes, mit schlaftrunknen Händen
sich gegen die hereinfliegenden Beeren und Haselnüsse wehrend; - und
eine törichte Glut flog durch seine Sinne. Daß Marcolina die Geliebte
des Leutnants Lorenzi war, daran zweifelte er so wenig, als hätte er
selbst sie beide in zärtlichster Umschlingung gesehn, und er war so
bereit, den unbekannten Lorenzi zu hassen, als ihn nach der niemals
geschauten Marcolina verlangte.
Im zitternden Dunst des Mittags, über graugrünes Laubwerk
emporragend, ward ein viereckiges Türmchen sichtbar. Bald bog der
Wagen von der Landstraße auf einen Seitenweg; links stiegen
Weinhügel gelinde an, rechts über den Rand einer Gartenmauer neigten
sich Kronen uralter Bäume. Der Wagen hielt an einem Tor, dessen
verwitterte Holzflügel weit offen standen, die Fahrgäste stiegen aus, der
Kutscher, auf einen Wink Olivos, fuhr weiter, dem Stalle zu. Ein breiter
Weg unter Kastanienbäumen führte zu dem Schlößchen, das sich auf
den ersten Anblick etwas kahl, ja vernachlässigt darbot. Was Casanova
vor allem ins Auge fiel, war ein zerbrochenes Fenster im ersten
Stockwerk; ebenso entging es ihm nicht, daß die Umfassung auf der
Plattform des breiten, aber niedern Turmes, der etwas plump auf dem
Gebäude saß, da und dort abbröckelte. Hingegen zeigte die Haustüre
eine edle Schnitzerei, und in den Flur tretend, erkannte Casanova sofort,
daß das Innere des Hauses sich in einem wohlerhaltenen und jedenfalls
weit bessern Zustand befand, als dessen Äußres hätte vermuten lassen.
»Amalia,« rief Olivo laut, daß es von den gewölbten Mauern
widerhallte. »Komm herunter so geschwind du kannst! Ich hab' dir
einen Gast mitgebracht, Amalia, und was für einen Gast!« - Aber
Amalia war schon vorher oben auf der Stiege erschienen, ohne für die
aus der vollen Sonne in das Dämmer Tretenden sofort sichtbar zu sein.
Casanova, dessen scharfe Augen sich die Fähigkeit bewahrt hatten,
selbst das Dunkel der Nacht zu durchdringen, hatte sie früher bemerkt
als der Gatte. Er lächelte und fühlte zugleich, daß dieses Lächeln sein
Antlitz jünger machte. Amalia war keineswegs fett geworden, wie er
gefürchtet, sondern sah schlank und jugendlich aus. Sie hatte ihn gleich
erkannt. »Welche Überraschung, welches Glück!« rief sie ohne jede
Verlegenheit aus, eilte rasch die Stufen hinab und reichte Casanova zur
Begrüßung die Wange, worauf dieser sie ohne weitres wie eine liebe
Freundin umarmte. »Und ich soll wirklich glauben,« sagte er dann,
»daß Maria, Nanetta und Teresina Ihre leiblichen Töchter sind, Amalia?
Der Zeit nach möchte es zwar stimmen -« »Und allem übrigen nach
auch,« ergänzte Olivo, »verlassen Sie sich darauf, Chevalier!« - »Dein
Zusammentreffen mit dem Chevalier,« sagte Amalia mit einem
erinnerungstrunknen Blick auf den Gast, »ist wohl an deiner
Verspätung schuld, Olivo?« - »So ist es, Amalia, aber hoffentlich gibt
es trotz der Verspätung noch etwas zu essen?« - »Wir haben uns
natürlich nicht allein zu Tisch gesetzt, Marcolina und ich, so hungrig
wir schon waren.«
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