verdanke er zuletzt doch nur den hundertfünfzig Goldstücken, die seine
Braut oder vielmehr deren Mutter von Casanova zum Geschenk
erhalten habe; - ohne diese zauberkräftige Hilfe wäre sein Los wohl
heute noch kein andres, als es damals gewesen: ungezogne Rangen im
Lesen und Schreiben zu unterweisen; wahrscheinlich wäre er auch ein
alter Junggeselle und Amalie eine alte Jungfer geworden ... Casanova
ließ ihn reden und hörte ihm kaum zu. Ihm zog das Abenteuer durch
den Sinn, in das er damals zugleich mit manchen andern
bedeutungsvollern verstrickt gewesen war, und das, als das geringste
von allen, seine Seele so wenig als seither seine Erinnerung beschäftigt
hatte. Auf einer Reise von Rom nach Turin oder Paris - er wußte es
selbst nicht mehr - während eines kurzen Aufenthalts in Mantua hatte
er Amalia eines Morgens in der Kirche erblickt und, da ihm ihr
hübsches blasses, etwas verweintes Antlitz wohlgefallen, eine
freundlich galante Frage an sie gerichtet. Zutunlich wie sie damals alle
gegen ihn waren, hatte sie ihm gern ihr Herz aufgeschlossen, und so
erfuhr er, daß sie, die selbst in dürftigen Verhältnissen lebte, in einen
armen Schullehrer verliebt war, dessen Vater ebenso wie ihre Mutter zu
einer so aussichtslosen Verbindung die Einwilligung entschieden
verweigerte. Casanova erklärte sich sofort bereit, die Angelegenheit ins
reine zu bringen. Er ließ sich vor allem mit Amaliens Mutter bekannt
machen, und da diese als eine hübsche Witwe von sechsunddreißig
Jahren auf Huldigungen noch Anspruch machen durfte, war Casanova
bald so innig mit ihr befreundet, daß seine Fürsprache alles bei ihr zu
erreichen vermochte. Sobald sie erst ihre ablehnende Haltung
aufgegeben, versagte auch Olivos Vater, ein heruntergekommener
Kaufmann, seine Zustimmung nicht länger, insbesondre als Casanova,
der ihm als entfernter Verwandter der Brautmutter vorgestellt wurde,
sich großmütig verpflichtete, die Kosten der Hochzeit und einen Teil
der Aussteuer zu bezahlen. Amalia selbst aber konnte nicht anders als
dem edlen Gönner, der ihr erschienen war wie ein Bote aus einer
andern höhern Welt, sich in einer Weise dankbar erzeigen, die das
eigne Herz ihr gebot; und als sie sich am Abend vor ihrer Hochzeit der
letzten Umarmung Casanovas mit glühenden Wangen entrang, war ihr
der Gedanke völlig fern, an ihrem Bräutigam, der sein Glück am Ende
doch nur der Liebenswürdigkeit und dem Edelsinn des wunderbaren
Fremden verdankte, ein Unrecht begangen zu haben. Ob Olivo von der
außerordentlichen Erkenntlichkeit Amaliens gegenüber dem Wohltäter
je durch ein Geständnis Kunde erhalten, ob er ihr Opfer vielleicht als
ein selbstverständliches vorausgesetzt und ohne nachträgliche
Eifersucht hingenommen hatte, oder ob ihm gar, was geschehen, bis
heute ein Geheimnis geblieben war, - darum hatte Casanova sich
niemals gekümmert und kümmerte sich auch heute nicht darum.
Die Hitze stieg immer höher an. Der Wagen, schlecht gefedert und mit
harten Kissen versehn, rumpelte und stieß zum Erbarmen, das
dünnstimmig gutmütige Geschwätz Olivos, der nicht abließ, seinen
Begleiter von der Ersprießlichkeit seines Bodens, der Vortrefflichkeit
seiner Hausfrau, der Wohlgeratenheit seiner Kinder und von dem
vergnügt harmlosen Verkehr mit bäuerlicher und adliger Nachbarschaft
zu unterhalten, begann Casanova zu langweilen, und ärgerlich fragte er
sich, aus welchem Grunde er denn eigentlich eine Einladung
angenommen, die für ihn nichts als Unbequemlichkeiten und am Ende
gar Enttäuschungen im Gefolge haben konnte. Er sehnte sich nach
seinem kühlen Gasthofszimmer in Mantua, wo er zu dieser selben
Stunde ungestört an seiner Schrift gegen Voltaire hätte weiterarbeiten
können, - und schon war er entschlossen, beim nächsten Wirtshaus, das
eben sichtbar wurde, auszusteigen, ein beliebiges Gefährt zu mieten
und zurückzufahren, als Olivo ein lautes Holla he! hören ließ, nach
seiner Art mit beiden Händen zu winken begann und, Casanova beim
Arm packend, auf einen Wagen deutete, der neben dem ihren, zugleich
mit diesem, wie auf Verabredung, stehengeblieben war. Von jenem
andern aber sprangen, eines hinter dem andern, drei ganz junge
Mädchen herunter, so daß das schmale Brett, das ihnen als Sitz gedient
hatte, in die Höhe flog und umkippte. »Meine Töchter,« wandte sich
Olivo, nicht ohne Stolz, an Casanova, und als dieser sofort Miene
machte, seinen Platz im Wagen zu verlassen: »Bleiben Sie nur sitzen,
mein teurer Chevalier, in einer Viertelstunde sind wir am Ziel, und so
lange können wir uns schon alle in meiner Kutsche behelfen. Maria,
Nanetta, Teresina - seht, das ist der Chevalier von Seingalt, ein alter
Freund eures Vaters, kommt nur näher, küßt ihm die Hand, denn ohne
ihn wäret ihr« - er unterbrach sich und flüsterte Casanova zu: »Bald
hätt' ich was Dummes gesagt.« Dann verbesserte er sich laut: »Ohne
ihn wäre manches anders!« Die Mädchen, schwarzhaarig und
dunkeläugig wie Olivo, und alle, auch die älteste, Teresina, noch von
kindlichem Aussehn, betrachteten den Fremden mit ungezwungener,
etwas bäurischer Neugier, und die jüngste, Maria, schickte sich, der
väterlichen Weisung folgend, an, ihm allen Ernstes die Hand zu küssen;
Casanova aber ließ es nicht zu, sondern nahm eins der Mädchen nach
dem andern beim Kopf und küßte
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