Candida | Page 7

George Bernard Shaw
ebenso willkommen sein, wie Sie es waren, ehe Sie Ihren
Vertrag verloren?
(Burgess.) Jawohl, Jakob, das möchte ich wirklich.
(Morell.) Warum benehmen Sie sich dann nicht wie damals?
(Burgess nimmt seine Hand behutsam weg:) Wie meinen Sie das?
(Morell.) Das will ich Ihnen sagen. Damals hielten Sie mich für einen
jungen Dummkopf!
(Burgess schmeichelnd:) Nein, dafür habe ich Sie nicht gehalten, ich--
(Morell ihn unterbrechend:) Ja, dafür hielten Sie mich! Und ich hielt
Sie für einen alten Schurken.
(Burgess will diese schwere Selbstanklage Morells heftig abwehren:)
Nein, das haben Sie nicht getan, Jakob. Jetzt tun Sie sich selbst unrecht.
(Morell.) Doch, das tat ich. Na, das hat aber nicht gehindert, daß wir
ganz gut miteinander ausgekommen sind. Gott hat aus Ihnen das
gemacht, was ich einen Schurken nenne, und aus mir das, was Sie eben
einen Dummkopf nennen. (Diese Bemerkung erschüttert die
Grundfesten von Burgess' Moral. Ihm wird schwach, und während er
Morell hilflos anblickt, streckt er die Hand ängstlich aus, um sein
Gleichgewicht zu bewahren, als ob der Boden unter ihm wankte.
Morell fährt im selben Tone ruhiger Überzeugung fort:) Es ist in beiden
Fällen nicht meine Sache, mit Gott darüber zu rechten. Solange Sie
offen als ein sich selbst achtender, echter, überzeugter Schurke
hierherkommen und, stolz darauf, Ihre Schurkereien zu rechtfertigen
versuchen, sind Sie willkommen. Aber (und nun wird Morells Ton
furchtbar; er erhebt sich und stützt sich zur Bekräftigung mit der Faust
auf die Rückenlehne des Stuhles:) ich mag Sie hier nicht

herumschnüffeln haben, wenn Sie so tun, als ob Sie das Muster eines
Arbeitgebers wären und ein bekehrter Mann dazu, während Sie nur ein
Abtrünniger sind, der seinen Rock nach dem Winde trägt, um einen
Vertrag mit der Behörde zustande zu bringen. (Er nickt ihm zu, um
seiner Rede Nachdruck zu verleihen, dann geht er zum Kamin, wo er in
bequemer Kommandostellung, mit dem Rücken gegen das Feuer
gekehrt, lehnt und fortfährt:) Nein, ich liebe es, wenn ein Mensch
wenigstens sich selber treu bleibt, selbst im Bösen! Also, nehmen Sie
jetzt entweder Ihren Hut und gehen Sie, oder setzen Sie sich und geben
Sie mir einen guten, schurkischen Grund dafür an, warum Sie mein
Freund sein wollen. (Burgess, dessen Erregung sich genügend gelegt
hat, um in einem Grinsen ausgedrückt werden zu können, fühlt sich
durch diesen konkreten Vorschlag sichtlich erleichtert. Er überlegt
einen Augenblick, und dann setzt er sich langsam und sehr bescheiden
in den Stuhl, den Morell eben verlassen hat.) So ist's recht,--nun heraus
damit.
(Burgess kichernd gegen seinen Willen:) Nein, Sie sind wirklich ein
sonderbarer Kauz, Jakob! (Beinahe enthusiastisch:) Aber man muß Sie
gern haben, ob man will oder nicht. Außerdem nimmt man, wie ich
schon sagte, nicht jedes Wort eines Geistlichen für bare Münze, sonst
müßte die Welt untergehn. Habe ich nicht recht? (Er faßt sich, um
einen ernsteren Ton anzuschlagen, und die Augen auf Morell gerichtet,
fährt er mit eintönigem Ernste fort:) Nun, meinetwegen, da Sie es
wünschen, daß wir gegeneinander ehrlich sind, will ich Ihnen zugeben,
daß ich Sie--ein wenig--für einen Narren hielt; aber ich fange an zu
glauben, daß ich damals etwas hinter meiner Zeit zurückgeblieben war.
(Morell frohlockend:) Aha, haben Sie das endlich herausgefunden?
(Burgess bedeutungsvoll:) Ja, die Zeiten haben sich mehr verändert, als
man glauben sollte! Vor fünf Jahren noch hätte sich kein vernünftiger
Mensch mit Ihren Ideen abgegeben. Ich wunderte mich sogar, daß man
Sie auf Ihrem Posten als Pastor beließ. Ich kenne einen Geistlichen, der
durch den Bischof von London auf Jahre hinaus seiner Funktionen
enthoben wurde, obwohl der arme Teufel nicht einen Funken mehr
religiös war als Sie. Aber wenn heute jemand mit mir um tausend

Pfund wetten wollte, daß Sie selbst noch einmal als Bischof enden
werden, ich würde die Wette nicht anzunehmen wagen. (Sehr
eindrucksvoll:) Sie und Ihre Sippschaft werden täglich einflußreicher,
wie ich überall merke. Man wird Sie einmal irgendwie befördern
müssen, und wäre es bloß, um Ihnen den Mund zu stopfen. Sie haben
doch den richtigen Instinkt gehabt, Jakob! Der Weg, den Sie
eingeschlagen haben, ist der einträglichste für einen Mann Ihres
Schlages.
(Morell reicht ihm jetzt die Hand mit fester Entschlossenheit:) Hier
meine Hand, Burgess, jetzt reden Sie ehrlich. Ich glaube nicht, daß man
mich zum Bischof ernennen wird; aber wenn es geschieht, dann will
ich Sie mit den größten Spekulanten bekannt machen, die ich zu
meinen Diners bekommen kann.
(Burgess der sich mit einem verschmitzten Grinsen erhoben und die
Freundschaftshand ergriffen hat:) Sie bleiben nun mal bei Ihrem Witz,
Jakob. Unser Streit ist jetzt beigelegt, nicht wahr?
(Die Stimme einer Frau.) Sag "Ja", Jakob!
(Erstaunt wenden sie sich um und bemerken, daß Candida eben
eingetreten ist und sie mit jener belustigten, mütterlichen Nachsicht
betrachtet, die ihr charakteristischer Gesichtsausdruck ist. Sie ist eine
Frau von dreiunddreißig Jahren, schön gewachsen, gut genährt. Man
errät, daß sie später eine Matrone sein wird, aber jetzt
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