Buch Der Lieder | Page 4

Heinrich Heine

aber die alten Gedichte wieder durchliest, um ihnen, behufs eines
erneuerten Abdrucks, einige Nachfeile zu erteilen, dann überschleicht
einen unversehens die klingelnde Gewohnheit des Reims und
Silbenfans, und siehe! es sind Verse womit ich diese dritte Auflage des
Buchs der Lieder eröffne. O Phöbus Apollo! sind diese Verse schlecht,
so wirst du mir gern
verzeihen ... Denn du bist ein allwissender Gott,
und du weißt sehr gut, warum ich mich seit so vielen Jahren nicht mehr

vorzugsweise mit Maß und Gleichklang der Wörter beschäftigen
konnte ... Du weißt warum die Flamme, die einst in brillanten
Feuerwerkspielen die Welt ergötzte, plötzlich zu weit ernsteren
Bränden verwendet werden mußte ... Du weißt warum sie jetzt in
schweigender Glut mein Herz verzehrt ... Du verstehst mich, großer
schöner Gott, der du ebenfalls die goldene Leier zuweilen

vertauschtest mit dem starken Bogen und den tödlichen Pfeilen ...
Erinnerst du dich auch noch des Marsyas, den du lebendig geschunden?
Es ist schon lange her, und ein ähnliches Beispiel tät wieder Not ... Du
lächelst, o mein ewiger Vater!
Geschrieben zu Paris den 20. Februar
1839.
Heinrich Heine.
Junge Leiden
1817-1821
Traumbilder
I
Mir träumte einst von wildem Liebesglühn,
Von hübschen Locken,
Myrten und Resede,
Von süßen Lippen und von bittrer Rede,
Von
düstrer Lieder düstern Melodien.
Verblichen und verweht sind längst die Träume,
Verweht ist gar mein
liebstes Traumgebild!
Geblieben ist mir nur, was glutenwild
Ich
einst gegossen hab in weiche Reime.
Du bliebst, verwaistes Lied! Verweh jetzt auch,
Und such das
Traumbild, das mir längst entschwunden,
Und grüß es mir, wenn du

es aufgefunden --
Dem luftgen Schatten send ich luftgen Hauch.
II
Ein Traum, gar seltsam schauerlich,
Ergötzte und erschreckte mich.

Noch schwebt mir vor mach grausig Bild,
Und in dem Herzen
wogt es wild.
Das war ein Garten, wunderschön,
Da wollte ich lustig mich ergehn;

Viel schöne Blumen sahn mich an,
Ich hatte meine Freude dran.
Es zwitscherten die Vögelein
Viel muntre Liebesmelodein;
Die
Sonne rot, von Gold umstrahlt,
Die Blumen lustig bunt bemalt.
Viel Balsamduft aus Kräutern rinnt,
Die Lüfte wehen lieb und lind;

Und alles schimmert, alles lacht,
Und zeigt mir freundlich seine
Pracht.
Inmitten in dem Blumenland
Ein klarer Marmorbrunnen stand;
Da
schaut ich eine schöne Maid,
Die emsig wusch ein weißes Kleid.
Die Wänglein süß, die Äuglein mild,
Ein blondgelocktes Heilgenbild;

Und wie ich schau, die Maid ich fand
So fremd und doch so
wohlbekannt.
Die schöne Maid, die sputet sich,
Sie summt ein Lied gar wunderlich;

"Rinne, rinne, Wässerlein,
Wasche mir das Linnen rein."
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüsterte: O sage mir,
Du
wunderschöne, süße Maid,
Für wen ist dieses weiße Kleid?
Da sprach sie schnell: "Sei bald bereit,
Ich wasche dir dein
Totenkleid!"
Und als sie dies gesprochen kaum,
Zerfloß das ganze
Bild, wie Schaum. --
Und fortgezaubert stand ich bald
In einem düstern, wilden Wald.


Die Bäume ragten himmelan;
Ich stand erstaunt und sann und sann.
Und horch! Welch dumpfer Widerhall!
Wie ferner Äxtenschläge
Schall;
Ich eil durch Busch und Wildnis fort,
Und komm an einen
freien Ort.
Inmitten in dem grünen Raum,
Da stand ein großer Eichenbaum;

Und sieh! mein Mägdlein wundersam
Haut mit dem Beil den
Eichenstamm.
Und Schlag auf Schlag, und sonder Weil,
Summt sie ein Lied und
schwingt das Beil:
"Eisen blink, Eisen blank,
Zimmre hurtig
Eichenschrank."
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüsterte: O sage mir,
Du
wundersüßes Mägdelein,
Wem zimmerst du den Eichenschrein?
Da sprach sie schnell: "Die Zeit ist karg,
Ich zimmre deinen
Totensarg!"
Und als sie dies gesprochen kaum,
Zerfloß das ganze
Bild, wie Schaum. --
Es lag so bleich, es lag so weit
Ringsum nur kahle, kahle Heid;
Ich
wußte nicht, wie mir geschah,
Und heimlich schaudernd stand ich da.
Und nun ich eben fürder schweif,
Gewahr ich einen weißen Streif;

Ich eilt drauf zu, und eilt und stand,
Und sieh! die schöne Maid ich
fand.
Auf weiter Heid stand weiße Maid,
Grub tief die Erd mit Grabescheit.

Kaum wagt ich noch sie anzuschaun,
Sie war so schön und doch
ein Graun.
Die schöne Maid, die sputet sich,
Sie summt ein Lied gar wunderlich:

"Spaten, Spaten, scharf und breit,
Schaufle Grube tief und weit."
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüsterte: O sage mir,
Du

wunderschöne, süße Maid,
Was diese Grube hier bedeut't?
Da sprach sie schnell: "Sei still, ich hab
Geschaufelt dir ein kühles
Grab."
Und als so sprach die schöne Maid,
Da öffnet sich die Grube
weit;
Und als ich in die Grube schaut,
Ein kalter Schauer mich durchgraut;

Und in die dunkle Grabesnacht
Stürzt ich hinein -- und bin
erwacht.
III
Im nächtgen Traum hab ich mich selbst geschaut,
In schwarzem
Galafrack und seidner Weste,
Manschetten an der Hand, als ging's
zum Feste,
Und vor mir stand mein Liebchen, süß und traut.
Ich
beugte mich und sagte: "Sind Sie Braut?
Ei! ei! so gratulier ich,
meine Beste!"
Doch fast die Kehle mir zusammenpreßte
Der
langgezogne, vornehm kalte Laut.
Und bittre Tränen plötzlich sich
ergossen
Aus Liebchens Augen, und in Tränenwogen
Ist mir das
holde Bildnis fast zerflossen.
O süße Augen, fromme Liebessterne,

Obschon ihr mir im Wachen oft gelogen,
Und auch im Traum, glaub
ich euch dennoch gerne.
IV
Im Traum sah ich ein Männchen klein und putzig,
Das ging auf
Stelzen, Schritte ellenweit,
Trug weiße Wäsche und ein feines Kleid,

Inwendig aber war es grob und schmutzig.
Inwendig war es
jämmerlich, nichtsnutzig,
Jedoch von außen voller Würdigkeit;
Von
der
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