Briefe aus der Schweiz | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
bald auf die neue Stra?e, die aus dem Pays de Vaud nach Paris führt; wir folgten ihr eine Weile abw?rts, und waren nunmehr von unserm Thale geschieden; der kahle Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab, unsre Pferde zogen auf der Stra?e voraus nach St. Sergues, und wir stiegen die Dole hinan. Es war gegen Mittag, die Sonne schien hei?, aber es wechselte ein kühler Mittagswind. Wenn wir, auszuruhen, uns umsahen, hatten wir les sept Moncels hinter uns, wir sahen noch einen Theil des Lac des Rousses und um ihn die zerstreuten H?user des Kirchspiels, der noir Mont deckte uns das übrige ganze Thal, h?her sahen wir wieder ungef?hr die gestrige Aussicht in die Franche-Comté und n?her bei uns, gegen Mittag, die letzten Berge und Th?ler des Jura. Sorgf?ltig hüteten wir uns, nicht durch einen Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um derentwillen wir eigentlich herauf stiegen. Ich war in einiger Sorge wegen des Nebels, doch zog ich aus der Gestalt des obern Himmels einige gute Vorbedeutungen. Wir betraten endlich den obern Gipfel und sahen mit gr??tem Vergnügen uns heute geg?nnt, was uns gestern versagt war. Das ganze Pays de Vaud und de Gex lag wie eine Flurkarte unter uns, alle Besitzungen mit grünen Z?unen abgeschnitten, wie die Beete eines Parterres. Wir waren so hoch, da? die H?hen und Vertiefungen des vordern Landes gar nicht erschienen.
D?rfer, St?dtchen, Landh?user, Weinberge, und h?her herauf, wo Wald und Alpen angehen, Sennhütten, meistens wei? und hell angestrichen, leuchteten gegen die Sonne. Vom Lemaner-See hatte sich der Nebel schon zurück gezogen, wir sahen den n?chsten Theil an der diesseitigen Küste deutlich; den sogenannten kleinen See, wo sich der gro?e verenget und gegen Genf zugeht, dem wir gegenüber waren, überblickten wir ganz, und gegenüber kl?rte sich das Land auf, das ihn einschlie?t. Vor allem aber behauptete der Anblick über die Eis- und Schneeberge seine Rechte. Wir setzten uns vor der kühlen Luft in Schutz hinter Felsen, lie?en uns von der Sonne bescheinen, das Essen und Trinken schmeckte trefflich. Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und nach verzog, jeder entdeckte etwas, oder glaubte etwas zu entdecken. Wir sahen nach und nach Lausanne mit allen Gartenh?usern umher, Vevey und das Schlo? von Chillon ganz deutlich, das Gebirg das uns den Eingang vom Wallis verdeckte, bis in den See, von da, an der Savoyer Küste, Evian, Ripaille, Tonon, D?rfchen und H?uschen zwischen inne; Genf kam endlich rechts auch aus dem Nebel, aber weiter gegen Mittag, gegen den Montcrédo und Mont-vauche, wo das Fort l'Ecluse inne liegt, zog er sich gar nicht weg. Wendeten wir uns wieder links, so lag das ganze Land von Lausanne bis Solothurn in leichtem Duft. Die n?hern Berge und H?hen, auch alles, was wei?e H?user hatte, konnten wir erkennen; man zeigte uns das Schlo? Chanvan blinken, das vom Neuburgersee links liegt, woraus wir seine Lage muthma?en, ihn aber in dem blauen Duft nicht erkennen konnten. Es sind keine Worte für die Gr??e und Sch?ne dieses Anblicks, man ist sich im Augenblick selbst kaum bewu?t, da? man sieht, man ruft sich nur gern die Namen und alten Gestalten der bekannten St?dte und Orte zurück, und freut sich in einer taumelnden Erkenntni?, da? das eben die wei?en Puncte sind, die man vor sich hat.
Und immer wieder zog die Reihe der gl?nzenden Eisgebirge das Aug' und die Seele an sich. Die Sonne wendete sich mehr gegen Abend und erleuchtete ihre gr??ern Fl?chen gegen uns zu. Schon was vom See auf für schwarze Felsrücken, Z?hne, Thürme und Mauern in vielfachen Reihen vor ihnen aufsteigen! Wilde, ungeheure, undurchdringliche Vorh?fe bilden! wenn sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der freien Luft mannichfaltig da liegen; man gibt da gern jede Pr?tension an's Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann.
Vor uns sahen wir ein fruchtbares bewohntes Land; der Boden worauf wir stunden, ein hohes kahles Gebirge, tr?gt noch Gras, Futter für Thiere, von denen der Mensch Nutzen zieht. Das kann sich der einbildische Herr der Welt noch zueignen; aber jene sind wie eine heilige Reihe von Jungfrauen, die der Geist des Himmels in unzug?nglichen Gegenden, vor unsern Augen, für sich allein in ewiger Reinheit aufbewahrt. Wir blieben und reizten einander wechselsweise, St?dte, Berge und Gegenden, bald mit blo?em Auge, bald mit dem Teleskop, zu entdecken, und gingen nicht eher abw?rts, als bis die Sonne, im Weichen, den Nebel seinen Abendhauch über den See breiten lie?. Wir kamen mit Sonnenuntergang auf die Ruinen des Fort de St. Sergues. Auch n?her am Thal, waren unsre Augen nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet. Die letzten, links im Oberland, schienen in einen leichten Feuerdampf aufzuschmelzen; die n?chsten standen noch mit wohl bestimmten rothen Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene wei?, grün, graulich. Es sah fast ?ngstlich
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