Briefe aus der Schweiz | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
Gipfel des Jura, unter uns lagen einige H?user von Vaulion, dahin die Dent geh?rt und daher sie den Namen hat.
Gegen Abend schlie?t die Franche-Comté mit flachstreichenden waldigen Bergen den ganzen Horizont, wovon ein einziger ganz in der Ferne gegen Nordwest sich unterschied. Grad ab war ein sch?ner Anblick. Hier ist die Spitze, die diesem Gipfel den Namen eines Zahns gibt. Er geht steil und eher etwas einw?rts hinunter, in der Tiefe schlie?t ein kleines Fichtenthal an mit sch?nen Graspl?tzen, gleich drüber liegt das Thal Valorbe genannt, wo man die Orbe aus dem Felsen kommen sieht und rückw?rts zum kleinen See ihren unterirdischen Lauf in Gedanken verfolgen kann. Das St?dtchen Valorbe liegt auch in diesem Thal. Ungern schieden wir. Einige Stunden l?ngeren Aufenthalts, indem der Nebel um diese Zeit sich zu zerstreuen pflegt, h?tten uns das tiefere Land mit dem See entdecken lassen; so aber mu?te, damit der Genu? vollkommen werde, noch etwas zu wünschen übrig bleiben. Abw?rts hatten wir unser ganzes Thal in aller Klarheit vor uns, stiegen bei Pont zu Pferde, ritten an der Ostseite den See hinauf, kamen durch l'Abbaye de Joux, welches jetzt ein Dorf ist, ehemals aber ein Sitz der Geistlichen war, denen das ganze Thal zugeh?rte. Gegen Viere langten wir in unserm Wirthshaus an, und fanden ein Essen, wovon uns die Wirthin versicherte, da? es um Mittag gut gewesen sei, aber auch übergar trefflich schmeckte.
Da? ich noch einiges, wie man mir es erz?hlt, Canton Bern, und sind die Gebirge umher die Holzkammer von dem Pays de Vaud. Die meisten H?lzer sind Privatbesitzungen, werden unter Aufsicht geschlagen und so in's Land gefahren. Auch werden hier die Dauben zu fichtenen F?ssern geschnitten, Eimer, Bottiche und allerlei h?lzerne Gef??e verfertiget. Die Leute sind gut gebildet und gesittet. Neben dem Holzverkauf treiben sie die Viehzucht; sie haben kleines Vieh und machen gute K?se. Sie sind gesch?ftig, und ein Erdschollen ist ihnen viel werth. Wir fanden einen, der die wenige aus einem Gr?bchen aufgeworfene Erde mit Pferd und Karren in einige Vertiefungen eben der Wiese führte. Die Steine legen sie sorgf?ltig zusammen und bringen sie auf kleine Haufen.
Es sind viele Steinschleifer hier, die für Genfer und andere Kaufleute arbeiten, mit welchem Erwerb sich auch die Frauen und Kinder besch?ftigen. Die H?user sind dauerhaft und sauber gebaut, die Form und Einrichtung nach dem Bedürfni? der Gegend und der Bewohner; vor jedem Hause l?uft ein Brunnen, und durchaus spürt man Flei?, Rührigkeit und Wohlstand. über alles aber mu? man die sch?nen Wege preisen, für die, in diesen entfernten Gegenden, der Stand Bern wie durch den ganzen übrigen Canton sorgt. Es geht eine Chaussee um das ganze Thal herum, nicht überm??ig breit, aber wohl unterhalten, so da? die Einwohner mit der gr??ten Bequemlichkeit ihr Gewerbe treiben, mit kleinen Pferden und leichten Wagen fortkommen k?nnen. Die Luft ist sehr rein und gesund.
Den 26. ward bei'm Frühstück überlegt, welchen Weg man zurück nehmen wolle. Da wir h?rten da? die Dole, der h?chste Gipfel des Jura, nicht weit von dem obern Ende des Thals liege, da das Wetter sich auf das herrlichste anlie? und wir hoffen konnten, was uns gestern noch gefehlt, heute vom Glück alles zu erlangen; so wurde dahin zu gehen beschlossen. Wir packten einem Boten K?se, Butter, Brot und Wein auf, und ritten gegen Achte ab. Unser Weg ging nun durch den obern Theil des Thals in dem Schatten des noir Mont hin. Es war sehr kalt, hatte gereift und gefroren; wir hatten noch eine Stunde im Bernischen zu reiten, wo sich die Chaussee, die man eben zu Ende bringt, abschneiden wird. Durch einen kleinen Fichtenwald rückten wir in's franz?sische Gebiet ein. Hier ver?ndert sich der Schauplatz sehr. Was wir zuerst bemerkten, waren die schlechten Wege.
Der Boden ist sehr steinicht, überall liegen sehr gro?e Haufen zusammen gelesen; wieder ist er eines Theils sehr morastig und quellig; die Waldungen umher sind sehr ruiniret; den H?usern und Einwohnern sieht man ich will nicht sagen Mangel, aber doch bald ein sehr enges Bedürfni? an. Sie geh?ren fast als Leibeigne an die Canonici von St. Claude, sie sind an die Erde gebunden, viele Abgaben liegen auf ihnen (sujets à la main morte et au droit de la suite), wovon mündlich ein mehreres, wie auch von dem neusten Edict des K?nigs, wodurch das droit de la suite aufgehoben wird, die Eigenthümer und Besitzer aber eingeladen werden, gegen ein gewisses Geld der main morte zu entsagen. Doch ist auch dieser Theil des Thals sehr angebaut. Sie n?hren sich mühsam und lieben doch ihr Vaterland sehr, stehlen gelegentlich den Bernern Holz und verkaufen's wieder in's Land. Der erste Sprengel hei?t le Bois d'Amont, durch den wir in das Kirchspiel les Rousses kamen, wo wir den kleinen Lac des Rousses und les sept Moncels, sieben kleine, verschieden gestaltete und verbundene Hügel, die mitt?gige Gr?nze des Thals, vor uns sahen. Wir kamen
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 26
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.