Briefe aus der Schweiz | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
Gebirg bequemer in das Land herunter zu bringen. Wir waren wohl drei Stunden gestiegen, als es hinterw?rts sachte wieder hinabzugehen anfing. Wir glaubten unter uns einen gro?en See zu erblicken, indem ein tiefer Nebel das ganze Thal, was wir übersehen konnten, ausfüllte. Wir kamen ihm endlich n?her, sahen einen wei?en Bogen, den der Mond darin bildete, und wurden bald ganz vom Nebel eingewickelt.
Die Begleitung des Hauptmanns verschaffte uns Quartier in einem Hause, wo man sonst nicht Fremde aufzunehmen pflegt. Es unterschied sich in der innern Bauart von gew?hnlichen Geb?uden in nichts, als da? der gro?e Raum mitten inne zugleich Küche, Versammlungsplatz, Vorsaal ist, und man von da in die Zimmer gleicher Erde und auch die Treppe hinauf geht. Auf der einen Seite war an dem Boden auf steinernen Platten das Feuer angezündet, davon ein weiter Schornstein, mit Brettern dauerhaft und sauber ausgeschlagen, den Rauch aufnahm. In der Ecke waren die Thüren zu den Back?fen, der ganze Fu?boden übrigens gedielet, bis auf ein kleines Eckchen am Fenster um den Spülstein, das gepflastert war, übrigens rings herum, auch in der H?he über den Balken, eine Menge Hausrath und Ger?thschaften in sch?ner Ordnung angebracht, alles nicht unreinlich gehalten.
Den 25. Morgens war helles kaltes Wetter, die Wiesen bereift, hier und da zogen leichte Nebel: wir konnten den untern Theil des Thals ziemlich übersehen, unser Haus lag am Fu? des ?stlichen noir Mont. Gegen Achte ritten wir ab, und um der Sonne gleich zu genie?en, an der Abendseite hin. Der Theil des Thals, an dem wir hinritten, besteht in abgetheilten Wiesen, die gegen den See zu etwas sumpfichter werden. Die Orbe flie?t in der Mitte durch. Die Einwohner haben sich theils in einzelnen H?usern an der Seite angebaut, theils sind sie in D?rfern n?her zusammengerückt, die einfache Namen von ihrer Lage führen. Das erste, wodurch wir kamen, war le Sentier. Wir sahen von weitem die Dent de Vaulion über einem Nebel, der auf dem See stand, hervorblicken. Das Thal ward breiter, wir kamen hinter einem Felsgrat, der uns den See verdeckte, durch ein ander Dorf, le Lieu genannt, die Nebel stiegen und fielen wechselsweise vor der Sonne.
Hier nahebei ist ein kleiner See, der keinen Zu- und Abflu? zu haben scheint. Das Wetter kl?rte sich v?llig auf und wir kamen gegen den Fu? der Dent de Vaulion und trafen hier an's n?rdliche Ende des gro?en Sees, der, indem er sich westw?rts wendet, in den kleinen durch einen Damm unter einer Brücke weg seinen Ausflu? hat. Das Dorf drüben hei?t le Pont. Die Lage des kleinen Sees ist wie in einem eigenen kleinen Thal, was man niedlich sagen kann.
An dem westlichen Ende ist eine merkwürdige Mühle in einer Felskluft angebracht, die ehemals der kleine See ausfüllte. Nunmehr ist er abged?mmt und die Mühle in die Tiefe gebaut. Das Wasser l?uft durch Schleusen auf die R?der, es stürzt sich von da in Felsritzen, wo es eingeschluckt wird und erst eine Stunde von da im Valorbe hervor kommt, wo es wieder den Namen des Orbeflusses führet. Diese Abzüge (entonnoirs) müssen rein gehalten werden, sonst würde das Wasser steigen, die Kluft wieder ausfüllen und über die Mühle weg gehen, wie es schon mehr geschehen ist. Sie waren stark in der Arbeit begriffen, den morschen Kalkfelsen theils wegzuschaffen, theils zu befestigen. Wir ritten zurück über die Brücke nach Pont, nahmen einen Wegweiser auf la Dent.
Im Aufsteigen sahen wir nunmehr den gro?en See v?llig hinter uns. Ostw?rts ist der noir Mont seine Gr?nze, hinter dem der kahle Gipfel der Dole hervorkommt, westw?rts h?lt ihn der Felsrücken, der gegen den See ganz nackt ist, zusammen. Die Sonne schien hei?, es war zwischen Eilf und Mittag. Nach und nach übersahen wir das ganze Thal, konnten in der Ferne den Lac des Rousses erkennen, und weiter her bis zu unsern Fü?en die Gegend durch die wir gekommen waren, und den Weg der uns rückw?rts noch überblieb. Im Aufsteigen wurde von der gro?en Strecke Landes und den Herrschaften, die man oben unterscheiden k?nnte, gesprochen, und in solchen Gedanken betraten wir den Gipfel; allein uns war ein ander Schauspiel zubereitet. Nur die hohen Gebirgketten waren unter einem klaren und heitern Himmel sichtbar, alle niederen Gegenden mit einem wei?en wolkigen Nebelmeer überdeckt, das sich von Genf bis nordw?rts an den Horizont erstreckte und in der Sonne gl?nzte. Daraus stieg ostw?rts die ganze reine Reihe aller Schnee- und Eisgebirge, ohne Unterschied von Namen der V?lker und Fürsten, die sie zu besitzen glauben, nur Einem gro?en Herrn und dem Blick der Sonne unterworfen, der sie sch?n r?thete.
Der Montblanc gegen uns über schien der h?chste, die Eisgebirge des Wallis und des Oberlandes folgten, zuletzt schlossen niedere Berge des Cantons Bern. Gegen Abend war an einem Platze das Nebelmeer unbegr?nzt, zur Linken in der weitsten Ferne zeigten sich sodann die Gebirge von Solothurn, n?her die von Neufchatel, gleich vor uns einige niedere
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