hatte. Ich
wiederholte mein Versprechen, zu schweigen. Aber er schien einen
anderen Argwohn zu haben, und sein ehrliches Gesicht blieb
verfinstert.
Die Nacht brachte ich damit zu, einen langen Brief an sie zu schreiben,
in dem ich ihr meinen ganzen Zustand schilderte und mein Wohl und
Wehe in ihre Hände gab. Wenn mir dann und wann der Schritt, den ich
wagte, mitten in der unsinnigsten Leidenschaft allzu abenteuerlich
vorkam, nahm ich die Orange, die neben dem Blatt auf meinem
Schreibtisch lag, und drückte sie gegen die Lippen, schloß dabei die
Augen und dachte an sie, wie sie sich auf der Schwelle mit jenem
langen holdseligen Blick verneigt und die Hand an das goldene Herz
gelegt hatte.
Hernach schlief ich sehr ruhig und bis in den hellen Tag hinein, ließ
aber wieder den Mittag vorübergehen, eh ich als mein eigener Briefbote
den entscheidenden Gang antrat. Das Glück wollte mir wohl. Ich hatte
mir eine lange eindringliche Rede ausgedacht, mit der ich den Alten
gewinnen wollte, wenn er Anstand nähme, meinen Brief zu besorgen.
Aber statt seiner kam, als ich läutete, Nina ans Gitter; da konnt' ich die
vielen Worte sparen. Das kluge Kind schien durchaus nicht überrascht,
mich wiederzusehen. Auch nahm sie den Brief unbedenklich an. Aber
auf meine Frage, ob sie glaube, daß die Signorina mir antworten würde,
machte sie eine diplomatische Miene und sagte: Wer kann es
wissen?--Ich würde jedenfalls am anderen Tage wiederkommen, sagt'
ich, genau zu derselben Zeit, und bäte sie, mich hier am Gitter zu
erwarten, daß ich nicht anzuläuten und ihren Vater ins Geheimnis zu
ziehen brauchte.
Der Vater? sagte sie und lachte. Den fürchten wir nicht. Er tut immer,
als wäre er ein Menschenfresser, und Bicetta braucht ihn nur anzusehn,
so ist er um den Finger zu wickeln. Aber kommt morgen lieber eine
Stunde später. Wir haben Zeichenstunde und können Euretwegen den
Professor doch nicht wegschicken. Wollt Ihr?
Eine Kutsche rollte auf der Landstraße heran, ich hatte nur Zeit, der
Kleinen noch ein Ja zuzurufen, dann war sie mir schon entschlüpft, und
ich selbst floh rasch die Mauer entlang, um nicht hier am Gitter
betroffen zu werden. Der Wagen hielt richtig am Portal, mein alter
graubärtiger Freund, der Hausverwalter, sprang vom Sitz neben dem
Kutscher herab und half einem hochgewachsenen schlohweißen alten
Herrn aus dem Wagen, in dem ich sogleich, an Augen, Stirn und Nase,
Beatrices Vater erkannte. Er ging etwas gebückt und mit trippelnden
Schritten, sich die Hände reibend und über das ganze Gesicht lachend.
Ein Diener hob einen Korb mit Blumen und allerlei eingewickelten
Sachen aus dem Wagen und trug ihn dem Alten nach. Ich hatte mich so
an die Mauer gedrückt, daß keiner mich bemerkte. Ich selbst aber
übersah die ganze Szene. Ehe noch einer geläutet hatte, flog die
Gitterpforte weit auf, und die schlanke weiße Gestalt der Tochter hing
sich an den Hals des alten Herrn, der sie mit einer rührenden Heftigkeit
in seine Arme schloß und dann halb schwebend hineintrug. Die anderen
folgten. Ich sah mit Neid das Tor hinter ihnen ins Schloß fallen.
Wie ich die Stunden dieses Tages und der folgenden Nacht hinbrachte,
weiß ich selber nicht. Es war ein beständiges Zwielicht um mich her,
eine süße Betäubung, eine Schlaftrunkenheit, die mir die Augen
zudrückte, während es beständig in mir sang und klang wie Flöten und
Geigen. Denn sonderbar! so wenig zuversichtlich ich von jeher Frauen
und Mädchen gegenüber mich gefühlt hatte, obwohl ich wußte, daß ich
für einen schmucken jungen Mann galt, so getrost sah ich diesmal
meinem Schicksal entgegen, als wäre mir das Herz dieses Mädchens so
gewiß, wie daß morgen die Sonne aufgehen würde. Nur die Zeit, bis ich
es von ihren Lippen hören sollte, schien unüberwindlich lang und
langsam.
Noch muß ich hier eine seltsame Begegnung erwähnen, die ich am
anderen Tage in einer Kirche hatte. Ich war absichtslos hineingetreten,
bloß um den Ort meiner Ungeduld zu verändern. Denn weder Bilder
noch Säulen, noch die Menschen, die vor den Altären knieten,
interessierten mich nur im geringsten. Ich war so zerstreut, daß ich
meinen Schritt zu dämpfen vergaß, da doch eben Messe war. Erst ein
unwilliges Gemurmel eines alten Weibes erinnerte mich, daß ich mich
unschicklich betrug. Da blieb ich am ersten besten Pfeiler stehen,
horchte auf das Gesumme der Orgel und das Klingeln des Glöckchens
und atmete den Weihrauch behaglich ein. Aber wie ich so die Augen
mit abwesendem Geist über die kniende Menge schweifen lasse--ich
selbst als Sohn eines strengen Calvinisten enthielt mich natürlich dieses
andächtigen Brauches--, bemerke ich in einem Seitenstuhl mir gerade
gegenüber zwei dunkelblaue Augen unter einer weißen, von
lichtbraunem Haar überhangenen Stirn, die sich unbeweglich auf mich
heften und auch nicht ihre Richtung ändern, solange die Messe dauerte.
Ich gestehe, daß mir zu jeder anderen Zeit diese stumme Anrede eine
Erwiderung abgelockt hätte. An jenem Morgen blieb ich ganz
unempfindlich
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