Beatrice | Page 9

Paul Heyse
und wäre am liebsten fortgegangen, wenn ich nicht eine
neue Störung hätte vermeiden wollen. Als aber alles sich erhob, sah ich,
wie die schöne Frau rasch aufstand, den schwarzen Spitzenschleier
über den Kopf zog und durch den schmalen Gang gerade auf mich zu
kam. Sie war tadellos gewachsen, ein wenig zu voll, aber von einer
Leichtigkeit der Bewegungen, die sie noch jugendlich erscheinen ließ.
In ihrer weißen Hand, die ohne Handschuh den Schleier zusammenhielt,
trug sie einen kleinen Fächer mit Perlmuttergriff. Den öffnete sie halb
und bewegte ihn nachlässig, als sie in meine Nähe kam, und sah mir
dabei mit einem ruhigen, aber vielsagenden Blick voll ins Gesicht.
Dann, da ich keine Miene machte, als ob ich irgend etwas zu verstehen
glaubte, warf sie den Kopf ein wenig zurück, lächelte vornehm, daß
ihre schönen Zähne schimmerten, und rauschte an mir vorbei.
Im nächsten Augenblick schon hatte ich dies Intermezzo vergessen.
Aber meine Freudigkeit war plötzlich verschwunden. Je näher der
Abend rückte, je bänger wurde mir der Mut, und in der verabredeten
Stunde schleppte ich, wie ein schwerer Verbrecher, der vor seinen
Richter treten soll, meine Schritte nach der Villa hinaus.
Ich erschrak heftig, als ich statt der Nina, die ich am Gitter zu treffen
dachte, ihren Vater am Portal stehen sah. Aber der Alte, obwohl er
mürrisch genug aussah, nickte mir doch schon von weitem zu und
machte ein Zeichen, daß ich nähertreten sollte.
Ihr habt der Signorina einen Brief geschrieben, sagte er, den Kopf

schüttelnd. Ei, ei, warum habt Ihr das getan? Wenn ich das von Euch
gedacht hätte, mit meinem Willen hättet Ihr keinen Fuß in das Haus
gesetzt. Und mein armer Herr, und alles, was ich ihm versprochen habe,
und was alles noch kommen kann--ich darf gar nicht daran denken!
Tapfrer alter Freund, sagt' ich, es sollte nicht hinter Eurem Rücken
geschehen. Wärt Ihr gestern zu Haus gewesen, gewiß, ich hätte den
Brief Euch selbst gegeben und allenfalls hättet Ihr ihn lesen können,
um zu sehn, daß ich nichts als Ehrenhaftes im Sinn habe. Aber sagt um
Gottes willen-Kommt, unterbrach er mich. Wir wollen die Zeit nicht
verderben. Ihr seid ein honetter junger Herr, und übrigens: wie sollt' ich
alter Tropf es hindern, wenn ich's auch wollte? Sie ist die Herrin, glaubt
es mir, so jung sie ist. Wenn sie sagt: das will ich! so widersteht ihr
niemand. Und sie will Euch sehn, sogleich, sie will selbst mit Euch
sprechen.
Mir taumelten alle Sinne bei diesen Worten. Ich hatte nur auf einen
Brief gehofft; nun das!
Der Alte schien selbst gerührt, als ich ihm stürmisch die Hand drückte,
Er führte mich nach dem Hause und wie vorgestern durch die Seitentür
hinein in den Saal des Erdgeschosses. Nur waren heut alle Läden und
Vorhänge geöffnet, um das Abendrot einzulassen; zwei Sessel standen
dem Kamin gegenüber, und von dem einen erhob sich, als wir eintraten,
die geliebte Gestalt des Mädchens und tat einige Schritte mir entgegen.
Sie hatte ein Buch in der Hand, in dem ich meinen Brief stecken sah.
Ihre reichen Haare waren aufgebunden und mit einem schwarzen
Samtband durchzogen. Auf ihrer Brust sah ich wieder mein Medaillon.
Fabio, sagte sie, mach die Tür nach dem Garten auf und bleib auf der
Terrasse, für den Fall, daß ich dir etwas aufzutragen hätte.
Der Alte verneigte sich ehrerbietig und tat, was sie ihn geheißen hatte.
Währenddessen standen wir uns unbeweglich gegenüber, und ich
konnte vor Herzklopfen kein Wort hervorbringen.
Ihr Blick ruhte mit unerschütterlichem Ernste, halb fragend, halb
staunend, auf meinen Augen. Endlich schien sie sich gefaßt zu haben
und klar zu wissen, was ihr noch eben rätselhaft gewesen war. Sie
reichte mir die Hand, die ich rasch ergriff, aber nicht an meine Lippen
zu drücken wagte.
Komm, sagte sie, und setz dich. Ich habe dir viel zu sagen. Siehst du
das Bild? Das ist meine liebe Mutter, die ist lange tot. Als ich deinen

Brief gelesen hatte, hab' ich mich hierher gesetzt und sie gefragt, was
ich dir antworten sollte. Dann schien mir's, als ob sie zu nichts ihre
Zustimmung geben könnte, als zu der Wahrheit. Und die Wahrheit ist,
daß ich, seit ich dich damals im Wagen gesehn, keinen anderen
Gedanken gehabt habe als an dich, und daß ich bis an meinen Tod nicht
aufhören werde, an dich zu denken.
Ich wußte nicht, wie mir geschah, als ich diese schlichten Worte hörte.
Ich stürzte nieder neben ihrem Sessel, ergriff ihre beiden Hände und
bedeckte sie mit Küssen und Tränen.
Warum weinst du nun? sagte sie und suchte mich aufzuheben. Bist du
nicht glücklich? Ich bin es. Ich habe schon viel Schmerzen gehabt, aber
in diesem Augenblick ist alles ausgelöscht; ich weiß nur, daß du bei
mir bist und ich bei dir, und daß ich nun nie mehr unglücklich werden
kann.
Sie stand auf und ich riß mich in die
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